TietzelsTipp: Atlas der unentdeckten Länder von Dennis Gastmann

Der Titel ist irreführend, denn unentdeckte Länder gibt es heutzutage nicht mehr oder kaum noch, und Dennis Gastmann ist nicht dort gewesen. Aber er ist in ziemlich abgelegenen, schwer zugänglichen Gegenden dieser Welt gewesen und man kann nur staunen über seinen Mut, seine Gelassenheit und seine Leidensfähigkeit, oder vielleicht besser, seine Bereitschaft, viel Unbill zu ertragen, um tatsächlich an jene Orte zu gelangen, die selbst nach seinen eigenen Beschreibungen nicht wirklich lohnenswerte Reiseziele scheinen.

Aber was heißt das schon. Die Bewertungen solcher Unternehmungen sind natürlich subjektiv, und es steht außer Frage, dass jede Reiseerfahrung einen bereichert und schlauer werden lässt. Ich muss gestehen, dass ich freiwillig keinen einzigen dieser Orte aufgesucht hätte, die hier beschrieben werden. Obwohl ich, aufgehoben im Schutz einer behüteten Reisegruppe, in Usbekistan vergleichbar kuriose Erfahrungen mit der Obrigkeit beim Grenzübergang gemacht habe. Ich wäre nicht nach Transnistrien gereist, in die desolate, Angst einflößende Verkommenheit einer Plattenbauidylle, wo Alkoholprobleme noch zu den weniger schrecklichen Erfahrungen gehören, und ich würde heute nicht einmal mehr in die Südsee reisen, die doch seit meiner Kindheit ein lang gehegter, schließlich aber resigniert aufgegebener Reisewunsch gewesen ist. Denn ich bin zu der Überzeugung gekommen, und Gastmanns Erfahrungen scheinen dies zu bestätigen, dass das Paradies heutzutage, auf Erden jedenfalls, nicht mehr zu finden ist. Das, was man in den Völkerkundemuseen bei uns über Völker und Gesellschaften dieser weit entfernten Länder sehen und lernen kann und das in vielen Fällen Bewunderung hervorruft und ja, auch Sehnsüchte  weckt, gibt es  außer in den Museen sonst nicht mehr. Was soll man von einer Insel halten, auf der die wenigen, übrig gebliebenen Einwohner auf ein Schiff warten, das alle drei Wochen vorbei kommt, um die Annehmlichkeiten der modernen Welt abzuladen, darunter Benzin für ein Quad, das zu nichts gut ist, als auf einer kleinen Insel einen Höllenlärm zu machen?

Trotzdem habe ich das Buch mit großem Vergnügen gelesen und mit tiefer Befriedigung, nicht selber zu all den grässlichen Orten gefahren zu sein. Wenige Male allerdings, bei der Beschreibung etwa, dass der Autor morgens vom Blas eines Wales aufgeweckt wurde, der in der Bucht vor seinem Zimmer schwamm,  wollte ein leichter Neid aufkommen. Gastmann beschreibt seine Gefühle auf ironische Weise schonungslos, und man ist ihm dankbar, dass er die Dinge beim Namen nennt und nicht verklärt. Dass er gern gereist ist, glaubt man ihm sofort, und man nimmt ihm ab, dass all die kuriosen Menschen, denen er begegnet ist, ihn bereichert haben, dass manche vielleicht zu Freunden geworden sind. Und auf jeden Fall ist es ihm gelungen, die Fremdartigkeit, die Andersartigkeit, manchmal wohl auch die eigenen Vorbehalte zu benennen, ohne jemals überheblich oder respektlos zu sein. So kann auch der weniger abenteuerlich gesinnte Leser von diesen Reisen profitieren und großen Gewinn daraus ziehen.                                                                                                                              Brigitte Tietzel

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