Ganz sympathisch ist sie einem am Anfang nicht, diese Ida, die da 1941 in Ellis Island landet und die den Eindruck erweckt, als sei sie mit allem unzufrieden, insbesondere mit ihrem Sohn Kurt und seiner neuen Frau, die er ihr nicht einmal vorgestellt hat vor der Hochzeit. Dabei sind das keine normalen Zeiten, in denen man auf solche konventionellen Regeln Rücksicht nehmen könnte. Es ist noch Krieg in Europa und Amerika steht unmittelbar davor, in diesen Krieg einzutreten. Und Ida hat sich gerade noch vor den Nazis nach Amerika retten können. Man würde etwas mehr menschliche Wärme, vielleicht auch Dankbarkeit erwarten. Erst am Ende des Romans, nachdem das ganze komplizierte Leben dieser Ida Bauer-Adler sich vor dem Leser aufgerollt hat, empfindet man mehr Mitgefühl für sie.
Als Patientin des Siegmund Freud in Wien um 1900 ist sie unter dem Namen Dora in die Literatur eingegangen, das heißt, sie hat tatsächlich gelebt. Die Autorin des Romans ist eine veritable Ur-Enkelin dieser Ida. Sie hat versucht, ihr nachzuspüren und schildert das Leben dieser Hysterikerin, wie Freud sie nannte, aus deren eigener Sicht.
Ida war von Jugend an kränkelnd und litt unter ihrer sicher ebenfalls leicht hysterischen Mutter, die einen Putz- und Frischluftwahn hatte und gänzlich gefangen war in gesellschaftlichen Konventionen. Den Vater hingegen, den sie während einer langen Krankheit pflegen musste, liebte Ida sehr. Außerdem vergötterte sie ihren Bruder Otto. Auf verschiedene Erlebnisse in ihrer Jugend reagierte Ida mit Krankheiten, so auf die Untreue ihres Vaters und auf die Nachstellungen durch einen älteren Freund der Familie. Es waren aber die Unaussprechlichkeit dieser Erschütterungen und die Tatsache, dass niemand ihr glauben schenkte, als sie es dann doch schließlich aussprach, die zu ihren Erkrankungen und dann zu der erzwungenen Therapie bei Prof. Freud führten, den Ida ablehnte und der letztlich nicht an sie heran kam.
Ida brach die „Kur“ ab, befreite sich damit sowohl vom Arzt als auch vom Elternhaus. Sie heiratete gegen den Willen der Eltern den Nichtsnutz Ernst Adler, von dem sie den Sohn Kurt, aber sonst nicht viel bekommen sollte. Ein kompliziertes Leben, wegen der vielen familiären Verflechtungen und der aufkommenden Gefahr durch die Nazis in den 30er Jahren. Zumal Otto Sozialdemokrat war und wegen seiner politischen Agitationen verfolgt wurde und außer Landes fliehen musste. Auch Ida floh schließlich nach Paris, und mit Hilfe von Freunden ihres inzwischen verstorbenen Bruders gelangte sie tatsächlich außer Landes.
Zeitlebens war diese Ida eine schwache und anfällige Person, der es dennoch gelang, vielfach mit Hilfe anderer, aber auch aus eigener Kraft, sich selber zu helfen. Am Ende des Romans und am Ende ihres Lebens spürt man ihre Verbitterung und Unversöhnlichkeit, aber trotz allem auch den Versuch, beides zu überwinden.
Brigitte Tietzel