Das Kritische zuerst: das ist eine reichlich konstruierte Geschichte mit merkwürdigen Zusammenhängen oder besser Zusammentreffen, und den Schluss fand ich ziemlich ärgerlich, kein bisschen einleuchtend oder auch nur verständlich. Aber die Beschreibung der beiden Protagonistinnen und ihrer Beziehung hat einen starken Sog, und wenn man sich darauf einlässt, erfährt man in eindringlicher Weise etwas über die seelischen Störungen und Traumata der Personen.
Während man am Anfang vielleicht etwas ratlos Lisbeths Verhalten gegenübersteht, gelingt es im Laufe des Romans, ihre Schwierigkeiten zu verstehen und zu akzeptieren und ihr trotz ihres verstörenden Verhaltens Empathie entgegen zu bringen. Denn am Anfang des Romans verlässt Lisbeth ihren Mann und ihren kleinen Sohn, kommt abends von ihrer Arbeit als Floristin nach Hause, sieht diese beiden Menschen, die ihr doch sehr nahestehen müssten, sagt, sie habe etwas vergessen und geht. Und kommt nicht wieder. Und erklärt auch nichts. Sie fährt zur Ostsee und trifft dort auf die Kriegerin, die sie bei der Grundausbildung zur Soldatin bei der Bundeswehr kennengelernt, dann aber Jahre nicht gesehen hat.
Lisbeth hat seit ihrer Kindheit eine stark juckende Neurodermitis, die immer dann besonders heftig wird, wenn sie mit ihrem Leben gerade wieder nicht fertig wird. Das Salzwasser der See lindert diese Empfindung, und auch andere Faktoren, wie die Nähe der Kriegerin, die ihr viel bedeutet, können ihre Haut beruhigen.
Nach dieser zufälligen, ersten Begegnung an der Ostsee trennen sich die Frauen wieder. Lisbeth wird über Jahre als Floristin auf Kreuzfahrtschiffen arbeiten, und im Winter, wenn sie ein paar Wochen Urlaub hat, wird sie die Kriegerin wieder an der Ostsee treffen. Die beiden versuchen, sich in erschreckender Weise gegen die Welt zu wappnen, indem sie kaum Nähe zulassen, nicht einmal zu einander. Lisbeth hat nach einem Vorfall in der Grundausbildung diese abgebrochen, während die Kriegerin Zeitsoldatin geworden ist und nach mehreren Kampfeinsetzen, u.a. in Afghanistan, schwer traumatisiert ist.
Die Frauen reden kaum miteinander, aber die Kriegerin schreibt Lisbeth Briefe, die sie auf ihren Schiffen auch erhält. So erfährt auch der Leser über das, was sie bewegt. Lisbeths Geschichte andererseits, sowohl was ihre Krankheit betrifft, als auch die kurze Zeit und den Vorfall beim Militär oder wie sie ihren Mann kennenlernte, wird im Roman immer wieder als Rückschau eingeblendet. So begreift man nach und nach, was diese Frauen so kampfbereit, so stark und gleichzeitig so verletzlich gemacht hat. Man versteht, dass sie sich in einer Welt, die ihre Verletzungen nicht kennt, nicht unbeschwert verhalten können und mit ihrer Andersartigkeit anecken müssen. Darin liegt, meiner Meinung nach, der Gewinn, den man aus diesem Roman ziehen kann. Dass die latent lesbischen Gefühle von Seiten der Kriegerin (und, wer weiß, vielleicht auch von Lisbeth) nicht weiter aufgebauscht werden, ist ein weiterer Pluspunkt.
Brigitte Tietzel