TietzelsTipp: Hillbilly-Elegie von J.D. Vance

Ein junger Mann, der Autor, erzählt mit 31 Jahren sein Leben, nein, er berichtet, wie es möglich war, den Weg zu schaffen aus den absoluten Niederungen der amerikanischen Gesellschaft und ein erfolgreiches Jura-Studium an einer der renommiertesten Universitäten des Landes, Yale, abzuschließen. Nun könnte man geneigt sein, zu glauben, dass hier die Verwirklichung des so genannten amerikanischen Traums – vom Tellerwäscher zum Millionär – stattgefunden habe. Aber das ist keineswegs so und J. D. Vance macht überdeutlich, dass niemandem, der aus seinen Verhältnissen kommt, dieser Weg offen stünde.

Die Rede ist von Menschen, ursprünglich schottisch-irischer Herkunft, die sich im Gebiet der Appalachen angesiedelt haben, eine weiße Arbeiterklasse, die zunächst als Tagelöhner und Bergarbeiter gearbeitet hat und die heute, seit dem Ende des 20. Jahrhunderts, in zunehmendem Maße in Armut gefallen und zur Dauerarbeitslosigkeit verdammt ist. Diese Hillbillys, Rednecks oder White Trash, weißer Abschaum, genannten Menschen habe ihre eigenen Gesetze und Traditionen und sind gefangen in ihrer Aussichtslosigkeit, die von Armut, häuslicher und anderer Gewalt, Scheidungen und Drogen geprägt ist. Geringe Mobilität sowie ein grundlegender Pessimismus verhindern weitgehend, dass der Einzelne sich aus solcher Umgebung lösen kann. Das Leben des J. D. Vance weist alle genannten Nachteile auf. Ruhepunkt in seinem chaotischen Leben waren seine ältere Halbschwester Lindsay und sein Großeltern. Vor allem die Großmutter, die allerdings jeden guten Ratschlag mit nicht wiederholbaren Flüchen verzierte und die völlig außer Kontrolle geraten konnte, wenn man einem Familienmitglied zu nahe trat, hat den Jungen durch ihre hingebungsvolle Liebe gestützt und ihm geholfen, durchzuhalten und zu dem zu werden, der er wurde. Das alles liest sich wie ein Roman, bei dem einem die Haare zu Berge stehen. Das eigentlich Erschreckende ist aber nicht diese Lebensbeschreibung, denn Vance hat es ja geschafft, sondern die Erkenntnis, dass all die anderen es nicht schaffen werden. Wir reden von heute. Von einer Gesellschaft, die Barack Obama ablehnte, ja für eine Gefahr für Amerika hielt, weil er nicht ihre Sprache sprach. Die keine Wahrheit über diesen Präsidenten glaubte, aber jede Menge von „fake news“ über ihn verbreitete, im unerschütterlichen Glauben daran, dass diese Lügen die eigentliche Wahrheit seien. Diese Menschen lieben ihr Land Amerika, und sie haben, wie ich vermute, im jetzigen Präsidenten jemanden gefunden, der ihnen aus der Seele spricht, wenn er „America great again“ machen will.

Vance ist voller Mitgefühl für diese Hillbillys, zu denen er sich immer noch gehörig fühlt. Aber er prangert durchaus eine Haltung an, die keine Möglichkeit sich selber zu helfen ergreift und dann andere, die Gesellschaft, für ihr Versagen verantwortlich macht. Die schrecklichen Folgen sind absehbar.

Eine Elegie, ein  Klagelied, ist dieses Buch in der Tat.

Brigitte Tietzel

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