TietzelsTipp: Manhattan Beach von Jennifer Egan

New York in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts. Anna begegnet uns am Anfang des Romans als Zwölfjährige, die ihren Vater auf Botengängen begleitet, mit denen er offensichtlich sein Geld verdient. Es bleibt geheimnisvoll, was er da eigentlich tut. Es ist eine Zeit großer Arbeitslosigkeit und Eddie Kerrigan muss nehmen, was er kriegen kann. Er bringt Anna in das Haus, nein die Villa, von Dexter Styles am Manhattan Beach, und der immense Luxus, dem Anna dort begegnet, verschlägt ihr den Atem. Der Leser ahnt, dass solcher Wohlstand in diesen Zeiten eigentlich nur eines bedeuten kann: kriminelle Machenschaften.

Einige Jahre danach verschwindet Eddie sang- und klanglos. Niemand scheint sich zu wundern: einer von vielen irischen Kerlen, die ihre Familien verlassen? Zumal Eddie außer Anna noch eine schwerstbehinderte Tochter, Lydia, hat, mit der er sich nicht abfinden mochte. Fünf Jahre später ist Anna neunzehn Jahre alt, der Krieg in Europa ist inzwischen ausgebrochen und Amerika bereits involviert. Anna arbeitet im Brooklyn Naval Yard und vermisst Einzelteile, die in Kriegsschiffe eingebaut werden sollen. Eine stupide Arbeit, die sie unterfordert, aber eine, die Frauen leisten können für das Land in diesen Zeiten. Sie beobachtet, wie Männer im Hafen zu Tauchern ausgebildet werden und weiß, dass auch sie das machen will. Gegen alle Widerstände gelingt ihr das sogar, sie wird die erste weibliche Taucherin.

In einem Nachtclub sieht sie Dexter Styles wieder, der der Besitzer dieser Bar ist. Sie scheut sich davor, ihm zu sagen, dass sie sich schon begegnet sind und nennt ihm nicht ihren richtigen Namen. Styles ist ohne zu wissen warum, fasziniert von Anna. Bei einer weiteren Begegnung in demselben Nachtclub, fängt Styles sie ab. Es kommt zu einer Liebesnacht in einem abgelegenen Bootshaus. Anna ahnt, dass Styles etwas über das Verschwinden ihres Vaters weiß und bringt ihn dazu, die Vermutung, ihr Vater sei tatsächlich tot, zu beweisen. Wie das geschieht, nämlich auf unglaubliche und unglaublich spannende Weise, soll hier nicht verraten werden.

Dexter Styles lebt zwischen zwei Welten. Einerseits verdient er sein Geld durch kriminelle Kontakte, andererseits ist er mit der Tochter eines einflussreichen Mannes aus der amerikanischen Oberschicht verheiratet. Zwei Welten, die keine Berührungspunkte haben, oder doch? Lange scheint Dexter, der Liebling beider Seiten, unantastbar, aber kann er sich wirklich sicher fühlen?

Egan beschreibt diese verschiedenen Leben, das der Anna Kerrigan, das des Dexter Styles und schließlich noch das von Eddie Kerrigan mit einer Intensität, einer ergreifenden Eindringlichkeit, dass man immer weiter lesen möchte. Was macht es da, dass verschiedene Ereignisse im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Eddie Kerrigan nicht besonders plausibel sind und letzte Erklärungen auch für das Schicksal des Dexter Styles  gar nicht erst gegeben werden. Das Schicksal von Anna verdrängt alles andere.

Brigitte Tietzel

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