TietzelsTipp: Vor dem Anfang von Burghart Klaußner

Man kennt den Autor als Schauspieler, so etwa als Pastor in „Das weiße Band“, und jetzt spielt er den Brecht in Heinrich Breloers neuester Verfilmung. Vor dem Anfang ist sein erster Roman, der sich wohl an eine wahre Begebenheit anlehnt, die ihm sein Vater einst erzählte. Die kurze Geschichte handelt von zwei Männern, die es irgendwie geschafft haben, den 2. Weltkrieg unbeschadet zu überstehen und die in den letzten Tagen des Krieges als Fliegerreserve in Berlin Johannistal in aller Ruhe vor der Tür sitzen und rauchen.

Es geht dem Ende zu, dem Ende des Krieges, und das ist eben „vor dem Anfang“ dessen, was danach kommen wird. Die beiden, Fritz und Schultz, erhalten den ebenso absurden wie gefährlichen Marschbefehl, eine Kassette mit Geld durch ganz Berlin, das von den Russen beschossen wird und teilweise bereits eingenommen ist, zum Luftfahrtministerium zu bringen. Wie? Das ist „Privatsache“ wird ihnen beschieden, „hier ist jedenfalls Schluss“. Aus und vorbei ist es mit der Ruhe und Beschaulichkeit, in denen sie es sich mitten im Krieg so bequem gemacht hatten. Insbesondere Fritz ist ein Meister der Umgehung, der Vermeidung, des sich Rausredens. Die beiden schnappen sich zwei Fahrräder und machen sich auf den Weg. Nicht nur die Patrouillen, die überall lauern und gänzlich unberechenbar sind, werden für die beiden zur Gefahr. Denn die Anerkennung des Marschbefehls scheint völlig willkürlich, und seine mögliche Missachtung hätte die sofortige Erschießung der beiden zur Folge. Daneben kommen ihnen plötzlich Zweifel, ob denn der Auftrag, den sie da ausführen, eigentlich glaubhaft sei, oder ob man ihnen nicht eine Falle gestellt hat.

Trotz der Gefahren schaffen sie es an ihr Ziel. Das aber ist ebenfalls in Auflösung begriffen, und dann ist Schultz, der sowohl den Marschbefehl als auch die Kassette hat, plötzlich verschwunden. Fritz bleibt nichts anderes übrig, als sich allein durch zu schlagen, zum Wannsee, wo sein Schiff, die „Traute“, liegt, auf der er den Rest des Krieges – Tage? Stunden? – einfach nur überleben will.

In der zweiten Hälfte des kleinen Romans folgen wir Fritz auf seinem irrwitzigen Fluchtweg. Er läuft einer Truppeneinheit über den Weg, wird einkassiert, bekommt ein Gewehr in die Hand und soll nun tatsächlich noch gegen die Russen ziehen. In tiefschwarzer Nacht. Man könnte die ganze Farce für komisch halten. Aber der blutige Ernst des Krieges holt Fritz ein. Ein durchgedrehter Soldat erschießt neben ihm einen Kameraden, und Fritz selbst tötet einen Feind, indem er ins Ungewisse zielt. Als Fritz seine „Traute“ tatsächlich erreicht, wacht er am nächsten Morgen auf und sieht eine Gestalt am Ufer. Das ist Schultz. Der Krieg ist aus. Das Geld aus der Kassette teilen sie sich.

Die Sprache, ist so knapp und auf das Wesentliche beschränkt, wie man es sich wohl vorstellen muss in einer solchen Situation, in der es um nichts als das nackte Überleben geht. Wenn diese unwahrscheinliche Begebenheit wahr ist, und gerade weil sie so unwahrscheinlich ist, kann man sie für möglich halten, dann ist es Klaußner sehr gut gelungen, den Rahmen, den man ihm gegeben hatte, mit Leben zu füllen.

 

Brigitte Tietzel

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