Freiwillig hätte ich mich an diesen Roman und seine beinahe 1300 Seiten nicht herangewagt. Aber gute Freunde hatten ihn mir mit den wärmsten Empfehlungen geschenkt. Auch sonst hört und liest man nur Gutes darüber.
Und es stimmt schon, die Autorin ist eine ungeheuer phantasievolle und packende Erzählerin und vor allem wie sie erzählt, in einer vollen, reichen, gut zu lesenden Sprache, nimmt einen sofort für sie und das Buch ein.
Es handelt sich um die Geschichte einer georgischen Familie und um die Geschichte eines ganzen Jahrhunderts, des zwanzigsten. Nisa, die Ich-Erzählerin des Romans, die man unwillkürlich mit der Autorin gleichsetzt, obwohl ich nicht weiß, ob man das sollte, beginnt ihre Geschichte mit der Geburt Stasias, ihrer Urgroßmutter, der Tochter eines wohlhabenden Schokoladenfabrikanten in Tiflis (Tbilissi), der Hauptstadt Georgiens, um 1900. Sie endet sechs Generationen weiter bei sich selbst und ihrer Nichte Brilka in der Jetztzeit. Während Stasia und ihre wunderschöne Schwester Christine am Anfang des 20. Jahrhunderts heranwachsen, schließlich heiraten, nimmt auch das Jahrhundert seinen Verlauf, die Zeiten ändern sich. Da gibt es den Ersten Weltkrieg, dann die Vereinnahmung Georgiens durch die Russen, die Grauen der Stalinzeit und des Zweiten Weltkriegs. Und all die alltäglichen Geschehnisse und all die Tragödien und Katastrophen, die sich im Lande und in der Familie abspielen, sind mit beeindruckender Intensität beschrieben und so anschaulich, dass man wirklich mit fiebert und mit leidet.
Was mich betrifft, allerdings, so hört dieser positive Gesamteindruck nach etwa der Hälfte des Jahrhunderts und tatsächlich auch ungefähr zur Hälfte des Romans auf und damit ehrlich gesagt, auch die reine Freude am Lesen. Was dann folgt, sind die unendlichen Beschreibungen von im Grunde sich wiederholenden Fehlern, die die Menschen begehen, um sich unglücklich zu machen Und das wird in einer nicht enden wollenden Dramatik erzählt: alle Personen wandeln ständig am Rande des Abgrunds und geraten nicht selten dabei tatsächlich unter die Räder. Alle Menschen befinden sich ununterbrochen in Extremsituationen, alles wird mit höchster Leidenschaft beschrieben. Ich bin sicher, manche Leser mögen das und lassen sich davon mitreißen. Mich selber hat es jedoch ermüdet, muss ich gestehen. Auch glaube ich, dass es dem ganzen Unternehmen gut getan hätte, wenn man vielleicht drei Bücher daraus gemacht hätte, eine Trilogie. Ich hätte dann zwischen den einzelnen Bänden Atem schöpfen können.
Es bleibt dabei: der Roman ist eine unerschöpfliche Quelle von Geschichten und Geschichte und damit hoch interessant und lesenwert. Dass dabei manche Episoden ziemlich nah am Kitsch vorbei schrappen, ist nicht wirklich schlimm, auch wenn manch einer das bemängeln mag. Alles in allem bin ich froh, dass ich den Schrecken vor den 1300 Seiten überwunden habe.
Brigitte Tietzel
Ich gebe es zu: Nach 2/3 der 1300 Seiten bin auch ausgestiegen. Es wurde mir zu dramatisch und verglichen mit meinem kleinen Alltagslesen viel zu extrem. Aber: knapp die erste Hälfte hat mir gut gefallen und ich habe das Lesen genossen. Dass ich nun das Ende verpasst habe, stört (mich) nicht wirklich.
Dann ist das doch eine ganz gute Methode 😀
Hallo, ich habe den Wälzer jetzt auch durch. Von der Sprache her kann man die 1.300 Seiten so weg lesen, und ich habe mein Geschichtswissen über Russland und den Kommunismus enorm aufgefrischt. Als Kritik möchte ich anfügen, dass für mich die Geschichte mit Elene hätte enden können. Denn bei Niza und Daria fangen sich die Liebesgeschichten an enorm zu ähneln und zu wiederholen, die Liebhaber von Elene und Daria sind als Charakter alle austauschbar. Das Daria dann nach Kitty ebenfalls den Freitod gewählt hat, war für mich dann auch wiederholendes Motiv.
Grüße