TietzelsTipp: Das Herz ist ein einsamer Jäger von Carson McCullers

Das ist ein tieftrauriges Buch. Es ist 1940 zum ersten Mal erschienen und handelt vom Leben in einer Kleinstadt in Georgia, tief im Süden Amerikas, mit all den wirtschaftlichen, sozialen und Rassenproblemen der 30er Jahre.

Der Taubstumme John Singer ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Er lebt zunächst zufrieden mit seinem Freund zusammen, dem Griechen Antonopoulos. Dieser wird jedoch verrückt und muss in einer Anstalt untergebracht werden. Singer empfindet diese Trennung als außerordentlichen Verlust und zieht sich von allem zurück. Er wohnt zur Miete bei der Familie Kelly. Mick Kelly, in deren Innerem sich der ganze pubertäre Furor eines dreizehnjährigen Teenagers abspielt, fühlt sich stark zu Singer hingezogen. Weitere Personen werden mit ihren Gedanken und Problemen geschildert, wie der Wirt Biff Brannon, der ständig betrunkene Marxist Jack Blount, den Singer in Brannons Café New York trifft, und der schwarze Arzt Dr. Copeland, Vater von Portia, die bei den Kellys arbeitet. Sie alle treibt es dazu, Singer aufzusuchen und ihre Sorgen bei ihm abzuladen. Sie glauben, einzig er, der Taubstumme, der allerdings von den Lippen lesen kann, verstünde sie in ihrer Not. Sie bewundern und lieben Singer, der immer freundlich ist, ruhig zuzuhören scheint, auch wenn er kaum je einen Kommentar zu dem Gehörten abgibt. Keiner aber fragt sich, wie es mit Singer selber steht, was in seinem Kopf vorgeht, was etwa seine Sorgen sind. So bleibt Singer mit seinem eigenen Kummer allein. Und obwohl er allen das Gefühl gibt, sie zu verstehen, ist er oft überfordert mit diesen Menschen, die immerzu auf ihn einreden. Wenige Male kann er in die ferne Stadt reisen, wo er seinen Freund im Irrenhaus besucht. Er will nicht wahrhaben, dass Antonopoulos ihn gar nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Als Singer eines Tages kommt und sein Freund verstorben ist, fährt er nach Hause und schießt sich eine  Kugel in den Kopf.

Niemand versteht das, weil niemand sich die Mühe gemacht hat, sich für den Menschen Singer zu interessieren. Allen Personen, um die es in diesem Buch geht, widerfahren schreckliche Dinge. Biff hat nach dem Tod seiner Frau ein ungutes Interesse für das Mädchen Mick. Mick, die Intelligente, musikalische Mick, der die Welt offen zu stehen scheint, landet mit 14 Jahren als Verkäuferin in einem Warenhaus, um ihre veramte Familie mit dem Verdienst zu unterstützen. Blount und Dr. Copeland verzweifeln an der Gesellschaft, die sie nicht ändern können. Blounts kommunistische Ideen treffen auf kein Gehör, und die Rechte der Schwarzen durchzusetzen ist noch niemand in der Lage. Im Gegenteil, als Copeland versucht, das Unrecht, das man seinem Sohn angetan hat, anzuzeigen, wird er selber jämmerlich zusammengeschlagen.

Nicht nur wegen all dieser Schicksalsschläge die geradezu lakonisch und ohne große Aufregung erzählt werden, ist dieses Buch so tieftraurig sondern auch, weil McCullers es versteht, die Einsamkeit eines Jeden so deutlich werden zu lassen. Obwohl die Welt nicht ohne Liebe und Zuneigung ist, gelingt es niemandem, sich anderen wirklich mitzuteilen und eine menschliche Beziehung aufzubauen, die vielleicht Trost spenden könnte.

Brigitte Tietzel

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