TietzelsTipp: Die weiteren Aussichten von Robert Seethaler

Herbert ist ein hässlicher junger Mann, lang und dürr und eben sehr unansehnlich. Er lebt mit seiner Mutter zusammen, die eine kleine Tankstelle kurz außerhalb eines ebenfalls sehr kleinen Dorfes betreibt. Außerdem ist Herbert Epileptiker und wird – und wurde schon als kleiner Junge – deswegen als Trottel angesehen und behandelt. Eines Tages sieht Herbert eine junge, sehr dicke Frau auf einem blauen Fahrrad an der Tankstelle vorbei und ins Dorf radeln. Ihre Blicke begegnen sich, und ohne genau zu verstehen, was ihm da gerade passiert, wird Herbert sich auf die Suche nach dieser Frau machen. Als er sie findet – sie ist die neue Putzfrau in der dörflichen Badeanstalt – handelt er, man muss wohl sagen: ohne Überlegung und aus dem Bauch heraus. Er kauft sich eine Eintrittskarte, muss feststellen, dass er gar keine Badehose dabei hat, betritt in Unterhose den Baderaum, und da die Putzfrau ihn nicht bemerkt, steigt er auf das 5-Meter-Brett und lässt sich fallen.

Hilde, so heißt die dicke Frau, rettet Herbert, und die beiden gehören von nun an zusammen. Darüber wird nicht groß gesprochen, das ist einfach so. Die klaren, einfachen Sätze, mit denen Seethaler diese Geschichte erzählt, treffen sehr präzise die ebenso einfachen wie unumstößlichen Gedanken der Personen: Die von Herbert in erster Linie, aber auch die von Hilde, die etwas langsam und zurückhaltend in ihrer Ausdrucksweise ist, aber ebenso vollkommen sicher in ihrer Haltung zum Leben im allgemeinen und zu diesem Herbert im besonderen.

In kürzester Zeit zieht Hilde zu Herbert und dessen Mutter. Das geht nicht ohne Komplikationen ab. Die Mutter ist nicht sonderlich begeistert über diese Person, die ihr den Jungen weg nimmt, und auch das Verhältnis zwischen den Liebenden bleibt nicht ohne Spannungen. Denn Hilde erwartet etwas von Herbert, wovon der keine Ahnung hat. Und auch, als er versucht, dem unklaren Wunsch nachzukommen, gelingt das keineswegs.

Dann nimmt die Geschichte Fahrt auf. Die Mutter kommt ins Krankenhaus. Sie hat Krebs und wird sterben. Herbert erschlägt einen Bösewicht, der Hilde etwas antun möchte. Und da er fliehen muss, aber seine Mutter nicht zurück lassen kann, entführt er sie kurzerhand aus dem Krankenhaus, stiehlt einen Rettungswagen, und dann wird es erst richtig skurril. Obwohl die folgende Odyssee absurd und unglaublich ist, hält man den Atem an und folgt dem Geschehen mit ungläubigem Staunen und eigentlich einer großen Freude darüber, dass es diesen Menschen, die alles in allem nicht in der Realität, sondern in ihrer völlig eigenen und da völlig logischen Welt leben, gelingt, mit einander, für einander da zu sein. Sie stehen in einem ziemlich absoluten Sinn außerhalb der „normalen“ Gesellschaft. Am Schluss kommt es zu einem erstaunlichen Show-down, der wirklich ganz am Schluss noch einmal eine unerwartete Wendung bekommt. Ein wunderbares Buch eines tollen Schriftstellers.

Brigitte Tietzel

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