Der Autor ist eine Entdeckung für mich. Im letzten Literarischen Quartett wurde sein neuestes Buch (Über Liebe und Magie) geradezu euphorisch von allen Beteiligten besprochen, und so dachte ich, können seine anderen Romane nicht ganz schlecht sein.
Allein die wunderbare, leise, überlegte Sprache ist ein Genuss. Michael Gardiner wohnt am Rande einer abgelegenen schottischen Hafenstadt, Coldhaven, auf einer Landzunge, weitab von den übrigen Bewohnern, in einem großen alten Haus, das einst seine Eltern bezogen, die als Fremde in den Ort kamen und dort niemals heimisch wurden. Eines Tages liest er in der Zeitung, dass ganz in seiner Nähe eine junge Frau sich selber und zwei ihrer kleinen Kinder in einem Auto verbrannt hat. Allein ihre 14jährige Tochter hat das Inferno überlebt, weil die Mutter sie weg geschickt hatte. Michael begreift erst nach einigen Minuten, dass er die Frau kannte, und nicht nur das, sondern dass er vor langen Jahren eine heftige Affäre mit dieser Moira hatte. Das Ereignis ruft Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend wach.
Ein Eigenbrötler schon als Kind, das lieber alleine blieb als sich unter die Schulkameraden zu mischen, kam ihm das Ausgestoßensein seiner Eltern nicht merkwürdig vor. Aber weder konnte er die Ängste seiner Mutter und ihren Hass auf die Stadtbewohner nachvollziehen, noch verstand er die Zurückgezogenheit seines Vaters, der ein erfolgreicher Naturfotograf war und ganz für seine Vogelbeobachtungen lebte. Die Einsamkeit des Jungen, die aus diesem grundsätzlichen Unverständnis seiner Eltern herrührte, ist meisterlich beschrieben. Allerdings war er, der Introvertierte, dadurch den Quälereien von Malcolm Kennedy hilflos ausgesetzt, der ihn schikanierte, ihm Geld abnahm, ihn schlug, ohne dass er je in der Lage gewesen wäre, sich zu wehren. Erst die Freundschaft mit einer alten, todkranken Frau, Mrs. Collings, wird ihm den Weg aus seiner Verzweiflung weisen und zwar auf eine ungeheuerliche, radikale Weise, die fortan Michaels dunkles Geheimnis bleiben wird. Dieser Malcolm ist der Bruder von Moira, der Frau, die sich selber und ihre Kinder tötete. Die Frage, warum die Tochter überlebte, führt zu der Überzeugung, dass diese nicht von demselben Vater stammt, gegen den Moiras Tat sich gewendet hatte. Michael verbeißt sich in die Idee, diese Hazel könne seine eigene Tochter sein. Er verfolgt Hazel und verrennt sich in den Gedanken, seine ungeliebte Frau Amanda zu verlassen und mit seiner Tochter irgendwo ein ganz neues Leben anfangen zu können. Aus der erzählenden Distanz sieht er selber, dass seine Handlungen nicht weit vom Irrsinn entfernt waren. Hazel hat andere Pläne.
Trotz der ungewöhnlichen Katastrophen im Leben von Michael, scheint dies nach außen hin ruhig und gleichförmig zu verlaufen. Der Leser aber hat Teil am inneren Aufruhr dieses Menschen und der Intensität seiner Gedankenwelt.
Brigitte Tietzel