Das ist die Geschichte des Jungen Gabriel, genannt Gaby, der in Burundi, dem kleinen Land, geboren ist als Sohn eines französischen Vaters und einer Mutter, die dem Stamm der Tutsi angehört und schon lange vor den eigentlichen Gräueln, die sich in den 90er Jahren zwischen den Hutu und den Tutsi in Ruanda abspielen werden, aus Ruanda geflohen ist. Denn die Feindlichkeiten zwischen den Ethnien bestanden da schon über dreißig Jahre. Es ist, zumindest was diese Umstände angeht, die autobiografische Geschichte des Autors, der wie Gaby 1995 aus Burundi nach Frankreich ausgeflogen und gerettet wurde.
In einer knappen Rahmenhandlung wird dieser Gaby später sagen, wie wenig er die Gründe für die Schrecken versteht, wie fremd er sich im „Asyl“ fühlt, welche Sehnsucht er nach dem Land seiner Kindheit verspürt. Er kehrt zurück, aber er findet das Paradies, das dieses Land vor Beginn der Schrecken für ihn war, nicht mehr wieder. Alles hat sich verändert.
Der eigentliche Roman beschreibt das Leben des kleinen, zunächst 10jährigen Jungen in einer privilegierten Welt mit einem reichen, weißen Vater und einer schönen, schwarzen Mutter, die er über alles liebt. Eine Welt, in der Diener verschiedener Ethnien sich um das Wohlergehen der Familie kümmern, mit Spielkameraden, die ebenso privilegiert wie Gaby in seiner Straße wohnen, in einem Land, dessen unglaublich schöne Natur selbst dem Kind bewusst ist. Diese Welt ist für den Jungen in Ordnung und soll es bleiben, koste es, was es wolle. Das führt dazu, dass der Junge Konflikte nicht sehen will, dass er beim Diebstahl seines Fahrrades egoistisch und gefühllos dem armen Bauernjungen, dessen Vater das Rad von dem Dieb gekauft hat, wieder wegnehmen lässt. Aber das Unheil bricht mit Macht in seine Welt. Die Mutter verlässt den Vater. In Ruanda beginnen die Massaker, die die Familie der Mutter hinweg raffen, und die harmlosen Spielereien der Freunde verwandeln sich nach und nach in ernsthafte Auseinandersetzungen mit der schrecklichen politischen Wirklichkeit. Nach der Ermordung des rechtmäßig gewählten Präsidenten gerät auch in Burundi die Welt aus den Fugen. Grausame, willkürliche Massaker einzelner Banden sind an der Tagesordnung. Gaby versucht, sich vor dieser Wirklichkeit zu verschließen, aber als der Vater eines seiner Freunde auf offener Straße getötet wird, kann er sich nicht mehr aus allem rausziehen. Er wird mitgenommen auf der Suche nach dem Mörder. Als man ihn gefunden hat, soll er bei lebendigem Leib in einem verschlossenen, mit Benzin übergossenen Auto verbrannt werden. Man zwingt Gaby, den Außenseiter, den „Franzosen“, wenn er denn nicht Gefahr laufen will, ausgestoßen zu werden und selber in Lebensgefahr zu geraten, das Feuerzeug auf das Auto zu werfen. Gaby ist zwölf Jahre alt, als er den Mann tötet.
Was immer man über diese Kriege, in Ruanda, in Burundi, liest, lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Die Welt hat damals weg geschaut.
Brigitte Tietzel