Norbert Paulini erklärt bereits als Kind, er wolle eigentlich im Leben nichts anderes tun als lesen. Der Einwand seines Vaters, dafür werde niemand bezahlt, hat keine weitere Auswirkung, und es ist ein Glück, dass sich für den Jungen der Ausweg über eine Lehre bei einer Buchhändlerin findet. Das mündet schließlich in die Gründung eines Antiquariates auf Grundlage eines Bücherstammes, den ihm seine früh verstorbene Mutter hinterlassen hat. Man schreibt das Jahr 1977. Paulini mausert sich zu einem hoch angesehenen, weit über die Grenzen Dresdens bekannten Antiquar. Er ist äußerst kenntnisreich, was seine Bücher angeht. Er lässt Lesungen und Vorträge in seinem Laden abhalten, der sich zu einer Art kulturellem Zentrum entwickelt
Mir war dieser Mann von allem Anfang an unsympathisch, weil ich ihn als zutiefst asozial empfand. Er interessiert sich für absolut gar nichts außer für sich und seine eigenen Belange. Er merkt nicht einmal, dass seine Frau für die Stasi arbeitet. Auch ist er völlig unfähig, die Wende von 1989 zu begreifen und bekommt einfach nicht mit, wie die Welt, auch seine Bücherwelt, sich grundlegend ändert.
Diese Veränderungen bringen es mit sich, dass er immer weniger verdient und mehrfach umziehen muss, bis er schließlich, in einem wenig erfreulichen Vorort von Dresden in einem runtergekommen Fachwerkhaus landet. Er ist nahezu mittellos aber stolz darauf, genügsam zu leben. Seine Radikalisierung leuchtet mir, so wie sie beschrieben wird, überhaupt nicht ein. Irgendwann, lange vor der Wende, hatte er sich entschlossen, nur noch mit deutscher Literatur zu handeln. Weil Übersetzungen nicht authentisch seien. Das habe ich zunächst tatsächlich für ein sprachliches Argument gehalten, denn Bücher in fremdem Original kann dieser Paulini nicht lesen. Schließlich, als am Ende des ersten Teils die Polizei zu ihm kommt, um nach seinem Sohn zu fragen, den man bei fremdenfeindlichen Ausschreitungen gesehen haben will, wird Paulini ihnen gegenüber ausfällig. Dann endet dieser Teil mitten im Satz.
In einem zweiten Teil wird deutlich, dass Paulinis vorhergehende Geschichte von einem Autor namens Schultze (mit tz) aufgeschrieben wurde. Schultze, der ebenfalls aus Dresden stammt, und Paulini von früher kennt, lebt jetzt in Westberlin und ist ein anerkannter Schriftsteller. Er besucht Paulini in seiner neuen Unterkunft, verliebt sich dort in Lisa, die Paulini seit der ersten Stunde des Antiquariats geholfen hat. Nach einer Monate dauernden glücklichen Zeit mit Lisa, bricht die Beziehung langsam auseinander. Ihm fällt auf, dass sie niemals zusammen den Antiquar besucht haben. Schultze wird rasend eifersüchtig und weiß sich nicht anders zu helfen, als eben die Lebensgeschichte des Antiquars aufzuschreiben. Als sich die Lage zuspitzt, sucht Schultze Paulini allein auf und erfährt, dass Lisa all die Zeit mit beiden ein Verhältnis hatte.
In einem dritten Teil fragt sich Schultzes Lektorin, was wohl hinter dem Tod von Lisa und Paulini steckt, die beim Wandern in der Sächsischen Schweiz abgestürzt sind. Mord, Doppelselbstmord? War ein Dritter im Spiel? Schultze? Auch wenn man das Buch gut lesen kann, überzeugt mich die Geschichte nicht wirklich.
Brigitte Tietzel