Wir lernen Paul Hansen kennen, als er in der Haftanstalt von Montreal einsitzt. Er teilt sich eine Zelle mit einem Rocker der Hells Angels, Patrick, der einen Menschen umgebracht hat. Was Paul getan hat, erfahren wir zunächst nicht, nur dass es schlimmer hätte kommen können.
Paul lässt seine Gedanken schweifen, und wir erfahren etwas über die grauenhaften Zustände in dieser Haftanstalt, über die erdrückende, nicht zu ertragende Enge in dieser Zelle, wo zwei Menschen, die sich nicht kennen, plötzlich eine Intimität teilen müssen, an die Paul sich nicht gewöhnen kann. Und doch sieht er, dass er bei allem Glück gehabt hat, denn so skurril dieser Patrick bisweilen ist, so grobschlächtig und gewaltsam er auch tut, die beiden kommen mit einander klar, und das ist das wichtigste.
Paul lässt sein Leben Revue passieren. Sein Vater stammt aus Jütland, der nördlichsten Halbinsel Dänemarks. Er lernt eine Französin aus Toulouse kennen und lieben und zieht mit ihr nach Südfrankreich, wo Paul geboren wird. Der Vater ist protestantischer Pfarrer, die Mutter atheistische Kinobesitzerin. Wir erfahren, wie glücklich Pauls Kindheit war, bis die Eltern sich scheiden ließen und der Vater nach Kanada auswanderte, wohin Paul ihm einige Jahre später folgte. Die Mutter spielt in beider Leben keine weitere Rolle mehr.
Wir erfahren, dass der Pfarrer seinen Glauben verliert und der Spielsucht verfällt, Gelder der Kirche veruntreut und entlassen wird. Bevor sie ihn verurteilten, so sagt er seiner Gemeinde bei seiner letzten Predigt, sollten sie daran denken, dass „jeder von uns die Welt auf seine Weise bewohnt.“ Dieser Satz bewahrheitet sich für Paul, der in seiner Zelle mit Patrick und dessen bisweilen abstrusen Ideen zurechtkommen muss, auf besondere Weise.
Pauls Leben verläuft zunächst in ruhigen Bahnen. Fast 30 Jahre ist er Hausmeister in einer Anlage mit über 60 Wohnungen. Er liebt seine Arbeit, und er macht sie gut. Er hilft den Menschen, die dort wohnen, darüber hinaus bei allen möglichen kleineren und größeren Sorgen. Er lernt Winona kennen, die eine Art Flugtaxi betreibt und eines Tage einen kleinen Hund rette, Nouk. Alles ist friedlich, bis der oberste Verwalter der Anlage stirbt und der Nachfolger alles daran setzt, die Stimmung unter den Anwohnern zu verschlechtern und gegen Paul zu richten. Der erträgt viel. Dann kommt Winona bei einem Absturz ums Leben. Eines Tages sind die Schikanen des Verwalters nicht mehr zu ertragen, und Paul verprügelt ihn mit einer so unbändigen Wut, dass er sich nachher nicht mehr an alles erinnern kann. Fast hätte er den Mann umgebracht. Als man ihm später im Gefängnis anbietet, seine Strafe zu verkürzen, wenn er nur zeigt, dass er seine Tat bereut, kann er das nicht annehmen. Es tut ihm nicht leid. Als er aus dem Gefängnis entlassen wird, kehrt er noch einmal in das Gebäude zurück, das so lange sein Zuhause gewesen ist. Eine starke Szene.
Das ist ein sehr berührendes, menschliches Buch. Die Geschichte von einem, der versucht, mit dem Leben klar zu kommen und dem das auf ungewöhnliche Weise geling. Dazu gehört allerdings auch, dass man nicht alles widerspruchslos zu ertragen bereit ist.
Brigitte Tietzel