Rezension: Two Boys Kissing von David Levithan

Mein Lieblingsbuch ist der Roman Two Boys Kissing – Jede Sekunde zählt von David Levithan, Verleger bei einem der größten Kinder- und Jugendbuchverlage in den USA und Autor erfolgreicher Jugendbücher wie Letztendlich sind wir dem Universum egal, das 2015 den Jugendliteraturpreis gewann, oder Will & Will, das er zusammen mit Bestsellerautor John Green verfasste.
Ich möchte es euch heute unbeauftragt und unbezahlt vorstellen.

Two Boys Kissing war der Favorit der Leipziger Jugendjury 2016 und gewann 2013 den ‚Book of the Year‘ Preis der NAIBA (North Atlantic Independent Booksellers Association) in der Kategorie Young Adult.

Der Arbeitstitel des Romans war – meiner Meinung sehr passend – How Beautiful the Ordinary. Letztlich hat sich jedoch Two Boys Kissing durchgesetzt, da es plakativer ist, und jedem sofort klar ist, worum es geht. How Beautiful the Ordinary lässt sich aber trotzdem im Buch finden: „Er hat keine Ahnung wie schön das Gewöhnliche wird, wenn es verschwunden ist.“ (S. 9, Z. 16+17)

Das Cover passt optisch perfekt zum Inhalt des Romans. Es ist schwarz mit vielen farbig herausstechenden Paaren von Männern oder Jungen die sich an den Händen halten. Zudem weist es gestalterische Ähnlichkeit mit Levithans vorherigem Roman Letztendlich sind wir dem Universum egal auf, was mir gut gefällt.

Die Haupthandlung des in den heutigen USA angesiedelten Romans, auf die auch der Titel anspielt, ist der Versuch von Craig und Harry den Rekord im Langzeitküssen zu brechen. Die Beiden sind zwar nicht mehr zusammen, möchten aber trotzdem ein Zeichen für Welt setzen und zu mehr Akzeptanz gegenüber Homosexuellen beitragen.

Der Roman beginnt am Abend vor dem großen Kuss und endet mit ebendiesem. Doch in diesen 32 Stunden 12 Minuten und 10 Sekunden passiert noch viel mehr.

Der Leser lernt 6 weitere schwule Jugendliche kennen: Tariq, der vor kurzem am eigenen Leib erfahren musste was Hass bedeutet, und Harry und Craig deswegen und aus Freundschaft bei ihrem Kuss unterstützt. Peter und Neil, die bereits ein Jahr zusammen und glücklich sind, aber feststellen müssen, dass zunehmende Vertrautheit auch zunehmende Selbstverständlichkeit bedeutet, und ihre Beziehung neu überdenken müssen. Cooper, der sich hinter Fake-Profilen versteckt und vor dem Unverständnis seiner Eltern und sich selbst flieht, und schließlich noch Ryan und Avery, die sich zu Beginn der Geschichte kennenlernen und selbst der Beginn einer Geschichte werden – mit all den Unsicherheiten und Komplikationen die eine neue Beziehung mit sich bringt.

Trotz des weiten Spektrums der Perspektiven, mit dem die einzelnen Geschichten einen Grad an Repräsentativität erlangen, müssen sie nichts von ihrer Individualität einbüßen. David Levithan schenkt allen Charakteren eine gewisse Tiefe und Einzigartigkeit, durch die sie nicht wie Stereotype wirken, die ein Mittel zu Zweck wären. Dadurch, und aufgrund der Tatsache, dass jeder der Hauptcharaktere (zumindest auf mich) sehr sympathisch wirkt, fiebert man besonders mit und fühlt sich in die Geschichte hinein.

Diese verschiedenen, parallel verlaufenden Erzählstränge verwebt der Autor zusätzlich noch mit denen der Erzähler, die eine Besonderheit bergen. Es sind die Geister aller toten Homosexuellen. Dadurch erhält der Roman eine weitere Perspektive, einen Pfad in die Vergangenheit. Die Erzähler beschreiben was den Charakteren geschieht, geben stumme Ratschläge und fühlen mit ihnen, während sie gleichzeitig über ihr eigenes Leben erzählen; vom Verstecken müssen, vom man selbst sein und von der Vergänglichkeit. Diese ist auch ein wichtiges Thema, da viele im Chor der Erzähler an AIDS und somit meist sehr plötzlich und zu früh gestorben sind. Sie erzählen davon wie es für sie war, was sie vermissen, kleine, scheinbar unbedeutsame Dinge wie die Telefonschnur (vgl. S. 45).

Zunächst fand ich die ungewöhnliche Erzählperspektive verwirrend, zum Teil sogar etwas störend, da man sich von den Erzählern manchmal bevormundet fühlt wie man über die Geschehnisse denken soll, und da willkürlich zwischen den verschiedenen Handlungssträngen gewechselt wird. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase aber habe ich zu würdigen begonnen, wie sich mein Blick auf die Handlung verändert. Ich konnte tiefer in die Geschichte eintauchen und es fühlte sich persönlicher an, näher. Dies wird auch dadurch unterstützt, dass Levithan selbst zwar nach dem Höhepunkt der AIDS-Seuche geboren wurde, jedoch trotzdem stark davon beeinflusst wurde und ist, unter anderem weil sein Onkel direkt betroffen war, was man im Nachwort des Romans erfährt.

Dort erklärt David Levithan auch, dass dieser Roman zwar Fiktion ist, jedoch – was ich bemerkenswert finde – auf wahren Geschehnissen beruht, nämlich auf dem Kuss der College-Studenten Matty Daley und Bobby Canciello, die am 18. September 2010 mit 32 Stunden, 30 Minuten und 47 Sekunden (noch länger als Harry und Craig im Buch) den Guinness-Weltrekord für den längsten Dauerkuss brachen. Abgesehen von dem Kuss und den diesbezüglichen Erlebnissen (körperliche Schwäche etc.), von denen Levithan im Gespräch mit Matty Daley erfahren hat, haben die entsprechenden Charaktere im Buch nichts mit ihren realen Vorbildern gemeinsam.

Besonders gut gefällt mir auch, dass der Autor auch auf andere Gruppen in der LGBTQ-Community eingeht, zum Bespiel durch den Ball, bei dem sich Avery und Ryan kennenlernen, der sowohl für homosexuelle Jungen als auch Mädchen ist, und vor allem dadurch, dass Avery als einer der Hauptcharaktere transsexuell ist. Levithan beschreibt dessen Unsicherheit bezüglich seiner Identität sehr glaubhaft.

Generell nutzt er eine sehr bildhafte Sprache mit vielen Metaphern und Vergleichen, mit deren Hilfe es ihm ungewöhnlich gut gelingt die Emotionen der Charaktere und Erzähler einzufangen und verständlich darzustellen. Dies liegt wohl auch der Erzählperspektive zugrunde, da dort theoretisch viele verschiedene Schreibstile vereint, und mit einer Weisheit aus vielen Lebensjahren gespickt sind, was Levithan als alleiniger Autor erstaunlich gut schafft.

In dem Roman geht es um mehr als um individuelles Liebesleid. Es geht um mehr als zwischenmenschliche Konflikte, Zweifel, Veränderung und Romanik. Es geht um alles. Sowohl durch die Handlungen und Sichten der Charaktere, als auch durch die Erinnerungen und erfahrungsgeprägten Ratschläge der Erzähler, hinterlässt der Roman einen bleibenden Eindruck und zeigt was im Leben wirklich wichtig ist. Er regt den Leser selbst zum Denken an.

Durch den öffentlichen Kuss von Harry und Craig, der als Livestream im Internet außerdem weltweit übertragen, und schnell zu einem Medienhype wird, nimmt der Leser ein breites Spektrum verschiedener Reaktionen wahr, die in realistischem Verhältnis stehen. Man betrachtet manche Szenen also auch mit einer anderen Sichtweise, wobei die positiven Reaktionen überwiegen und die grundsätzlich positive Stimmung in den meisten Szenen beibehalten wird.

Schön finde ich, dass gegen Ende des Romans (und somit auch des Kusses) viele der Hauptcharaktere am Ort des Geschehens aufeinander treffen – ähnlich wie in einem Episodenfilm -, wenn sie auch nicht unbedingt miteinander interagieren. Dies zeigt, dass eins der Ziele, die Harry und Craig mit dem Kuss erreichen möchten, nämlich die homosexuelle Gemeinschaft zu fördern, auf jeden Fall erreicht wurde.

Der Roman hat außerdem exemplarischen Wert, da er eine Hymne gegen Ignoranz und Homophobie ist. Er zeigt dabei einerseits durch den Vergleich zur Vergangenheit in der die Erzähler lebten, dass die Akzeptanz schon deutlich gestiegen, aber auch dass sie immer noch nicht überall selbstverständlich ist.

Zusammengefasst ist es ein besonderer und meiner Meinung nach fantastischer Coming-of-age-Roman, der in fast schon poetischer Sprache verfasst wurde, den Leser zum Nachdenken anregt, und eine wichtige Botschaft vermittelt.

 Aufgrund all dieser Dinge würde ich jedem uneingeschränkt empfehlen Two Boys Kissing zu lesen.

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