Das ist der dritte Band der Trilogie über Thomas Cromwell, 1080 Seiten lang, und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das des Guten schließlich zu viel war. Es stimmt wohl, die unglaublich dichte Atmosphäre, die die Autorin vermitteln kann, und die einen so sehr umfängt, dass man ganz in diesem 16. Jahrhundert aufgeht, findet sich auch in diesem Buch. Aber ich muss gestehen, dass ich allmählich den Überblick verloren haben bei den unendlich vielen Informationen. Da sind die Schwierigkeiten mit der Religion, die zu Aufständen führen, da sind die unendlichen politischen Verwicklungen mit Frankreich und dem Kaiser, die Verteilung der aufgelassenen Klöster in endloser Ausführlichkeit, und da sind Einzelheiten – wie das Auftauchen einer unehelichen Tochter von Cromwell, die dann wieder verschwindet oder das Geschenk eines Leoparden, von wem auch immer –, die letztlich überhaut keine Rolle spielen. Und es mag ja sein, dass Engländer besser als Nicht-Engländer, mit der unseligen Namensgebung klar kommen. Thomas Howard, der Vater, ist Herzog von Norfolk. Sein Sohn, ebenfalls Thomas Howard, Earl of Surrey. Sie werden mal als Howard, mal als Herzog, mal als Norfolk, mal als Surrey genannt. Und während Norfolk eine wichtige Rolle spielt und man sich den noch merken kann, taucht sein Sohl selten auf und wenn man dann von Surrey liest muss man zum tausendsten Mal im Personenregister nachsehen. Das trifft auf viele Personen zu, wenn sie nicht zum unmittelbaren Umfeld von Cromwell gehören, und das ist mehr als lästig.
Was den König betrifft, ist die Geschichte schnell erzählt. Er heiratet Jane Seymour 14 Tage nachdem Anne Boleyn auf dem Schafott geendet ist. Die Lady bleibt vage, wird dann endlich schwanger und schenkt dem König den ersehnten Thronfolger. Zwölf Tage danach stirbt sie. Sofort erinnert man den König daran, dass er wieder heiraten und für weitere Thronfolger sorgen müsse. Cromwell schlägt Anna von Kleve vor, die Henry dann auch heiratet, die ihm aber so sehr missfällt, dass er die Ehe nicht vollziehen kann. Sie wird annulliert. Da befindet sich Cromwell schon im Tower, und am Tage seiner Hinrichtung heiratet der König seine fünfte Frau, Catherine Howard.
Da alle Bücher aus der Sicht und dem Verständnis von Cromwell geschrieben sind, merkt der Leser zwar mit ihm, wie die Gunst des Königs nachlässt, aber was seinen Sturz letztlich verursacht hat, wird erst nicht klar. Im März 1540 erhebt der König Cromwell zu Earl of Essex. Das scheint ihn zu schützen, aber im Juli des Jahres wird er bereits hingerichtet. Wie bei allen diesen Prozessen, sind die Gründe hierfür fadenscheinig, da kennt Cromwell sich bestens aus, und er weiß auch, dass es keine Rettung gibt. Im Tower begreift er schließlich, dass seine Ernennung zum Earl und der ungeheure Erfolg seines Neffen Richard bei einem Turnier im Mai für seine Gegner und Neider schließlich zu viel waren. Erschreckend die Wankelmütigkeit des Königs, seine Manipulierbarkeit, seine absolute Sorglosigkeit im Umgang mit dem Leben seiner Untertanen. Mit Cromwells letzten Gedanken, als er seinen Kopf auf den Schlachtblock legt, muss das Buch enden. Diese letzten Seiten sind noch einmal von überwältigender Eindringlichkeit.
Brigitte Tietzel