James Joyce mag ein genialer Schriftsteller gewesen sein, aber er war gewiss kein Mensch, mit dem man leicht und gerne leben konnte. Warum also Nora Barnacle 1904 als Zwanzigjährige mit dem zwei Jahre älteren Joyce ihre Heimat Irland verließ und, obwohl er sie zunächst nicht heiratete, bei ihm blieb, unter den wirklich widrigsten Umständen, ist nicht leicht zu verstehen. Nuala O’Connor gibt eine ebenso einfache wie einleuchtende Antwort: weil sie ihn liebte. Das Buch ist in Ich-Form geschrieben, und die da spricht ist jene Nora, über die sich viele Literaten und Kritiker, die das Leben und Werk ihres Mannes erforschten, in nicht gerade mitfühlender oder auch nur einigermaßen verständnisvoller Weise ausgelassen haben. Hier nun bekommt Nora eine Stimme. Sie beschreibt, in Gegenwartsform, was sie empfindet für diesen Mann, den sie als junge Frau heiß liebt, und man versteht, dass es die sexuelle Anziehungskraft der Jugend ist, derentwegen sie sich auf das Abenteuer mit Joyce einlässt. Aber es scheint von allem Anfang an auch mehr gewesen zu sein, und das beschreibt die Autorin hinreißend und eindringlich. Nora erträgt als gläubige Katholikin, dass Joyce eine Ehe ablehnt, weil er ihre Liebe nicht von Priestern abhängig machen will. (Sie heiraten erst 1931.) Sie bleibt bei ihm, obwohl er leichtsinnig ist, völlig gedanken- und verantwortungslos ihr und selbst der wachsenden Familien gegenüber, mit den bald geborenen Kindern Giorgio und Lucia. Er vertrinkt sein weniges Geld in Kneipen, während seine Frau und die Kinder hungern und in miserablen Behausungen leben müssen. Ihr unstetes Leben führt sie von Irland über Paris und Zürich nach Triest und Pola, dann zurück nach Triest, zwischendurch nach Rom, bis sie am Beginn des Ersten Weltkrieges als unerwünschte Ausländer in die Schweiz ziehen müssen. Von dort geht es weiter nach Paris, wo etwas Ruhe in das Nomadenleben eintritt. Da hatte Joyce auch schon erste schriftstellerische Erfolge und wird mit Erscheinen seines Romans Ulysses sogar weltberühmt.
Der Roman beschreibt nun die ständigen Konflikte Noras mit dem Mann, der sie und die Kinder sicher liebt, sich aber charakterlich keineswegs ändert und im Grunde ein unausstehlicher Egoist bleibt. Das ist streckenweise sehr ermüdend zu lesen, weil die Verhältnisse sich so gleichen, die Ereignisse sich wiederholen und man sich unwillkürliche fragt, warum Nora Joyce immer wieder und in allem nachgibt. Trotzdem gelingt es der Autorin, die Seele, das Herz ihrer Nora lebendig zu beschreiben, ihre Liebe, ihren Zorn und bei allem den unendlichen Stolz auf ihren Mann. Ganz so aufopferungsvoll und alles ertragend, wie in diesem Roman beschrieben, war die leibhaftige Nora Barnacle vielleicht nicht. Zweimal haben sich die beiden zeitweilig getrennt. Aber offensichtlich konnten sie nicht ohne einander leben. Interessanter Blick auf ein Schriftstellerleben, über das man sonst eher einseitig unterrichtet wird.
Brigitte Tietzel