Eines Tages sitzt ein junger Äthiopier vor der Tür ihrer römischen Wohnung und behauptet, mit der 40-jährigen Lehrerin Ilaria Profeti verwandt, genauer, ihr Neffe zu sein. Er zeigt ihr auch seinen Ausweis, und dort steht neben afrikanischen Namen auch: Attilio Profeti, und das ist der Name von Ilarias 93-jährigem, dementem Vater. Auch ihr Halbbruder trägt diesen Namen. Ilaria zieht ihn zu Rate. Während sie dem jungen Mann glaubt, bleibt dieser Bruder skeptisch. Allzu dunkel scheint die Haut dieses Menschen, der da behauptet, der Sohn des Sohnes ihres Vaters zu sein.
Die Suche nach der Wahrheit gestaltet sich schwierig. Der Vater kann keine Antwort mehr geben, und weder Ilarias Mutter, die erste Frau des Vaters, noch Anita, die Mutter des Halbbruders, haben die geringste Ahnung vom tatsächlichen Charakter oder von all den Machenschaften dieses älteren Attilio Profeti. Schon von einander haben die beiden Frauen während der langen Jahre, die Attilio beide Familien neben einander gehalten hatte, keine Ahnung gehabt. Die Autorin entfaltet eine Familiengeschichte, die bis in die faschistische Vergangenheit schon der Eltern des doppelten Ehemannes zurückgeht, in die Zeit Mussolinis, den sie, wie so viele Italiener, bedingungslos verehrten. Attilio, der Sohn, nahm in den 40er Jahren an der „Kolonialisierung“ Äthiopiens, des ehemaligen Abessinien, teil und auch er war verstrickt in die zutiefst rassistisch geprägten Aktivitäten der italienischen Eroberer. Gleichzeitig ging er eine Beziehung mit einer Schwarzen ein (wie so viele andere), leistete gegenüber deren Familie eine Art Eheversprechen und leugnete, als man ihn deswegen vor dem italienischen Gericht denunzierte, diesen Tatbestand, indem er sich sehr geschickt als bloßer Arbeitgeber einer Haushaltshilfe herausredete.
Gnadenlos werden die ungeheuerlichen Grausamkeiten beschrieben, die die Weißen sich in Afrika geleistet haben. Auch der Weg des jungen Mannes, der sich als Enkel des Attilio ausgibt, wird in all seiner menschenverachtenden Brutalität erzählt. Seine jahrelange Flucht, die durch die Wüsten Afrikas, die Lager Libyens und schließlich auf einem Boot über das Mittelmeer führte, fand auch nach der Landung in Italien kein gutes Ende. Eine andere Art von liebloser Odyssee stand dem Mann bevor, der zweimal zur Abschiebung verurteilt, schließlich als Illegaler vor Ilarias Tür landet.
Es drängt sich die Frage auf, ob sich seit den Tagen Mussolinis und der nicht weniger rassistischen Haltung gegenüber den Afrikanern in den Tagen Berlusconis (in denen die Gegenwart des Romans spielt), wirklich grundsätzlich etwas geändert hat. Und obwohl dieses Buch ganz und gar die italienische Geschichte, Vergangenheit und Gegenwart, im Blick hat, muss sich auch der nicht italienische Leser sehr wohl angesprochen fühlen.
Brigitte Tietzel