Das ist eine wunderbare Sommerlektüre, richtig gute Unterhaltung. Kalmann ist, wie einige sagen, der „behinderte Dorftrottel“ von Raufarhöfn, einem 170-Seelen-Dorf im Norden Islands. Er ist jetzt 34 Jahre alt und wohnt allein. In der Schule hat er keine großen Erfolge gehabt und war auch nicht lange dort. Aber das macht gar nichts, denn sein Großvater, bei dem er aufgewachsen ist, hat gesagt, dass es im Leben auf andere Dinge als auf Zahlen und Buchstaben ankommt. Und das stimmt, denn alles, was Kalmann vom Großvater mitbekommen hat, hat ihn für das Leben ertüchtigt. Großvater war Haifischfänger und machte den besten Gammelhai Islands, und Kalmann ist jetzt auch Haifischfänger und macht den zweitbesten Gammelhai. Großvater ist nicht immer klar im Kopf, lebt deswegen in einem Heim in Husavik, und Kalmann muss allein fertig werden. Das ist nicht immer einfach, aber was will man machen. Was einen guten Gammelhai ausmacht, mag man sich nach der Beschreibung der Zubereitung nicht wirklich vorstellen wollen.
Kalmann erzählt uns seine Geschichte. und wir folgen seinen durchaus logischen und folgerichtigen Gedanken und Beobachtungen, die den übrigen Menschen jedoch nicht durchweg einleuchten. Das Buch ist bisweilen urkomisch oder zumindest sehr erheiternd. Eines Tages findet Kalmann auf der Jagd nach einem Polarfuchs eine riesige Blutlache, wirklich riesig ist die. Und bald stellt sich heraus, dass der bestgehasste Mann von Raufarhöfn verschwunden ist. Man vermutet, dass er ermordet wurde. Kalmann kann dazu keine weiteren Angaben machen, lässt aber die Vermutung durchblicken, dass dieser McKenzie von einem Eisbären getötet worden sein könnte. Das ist ziemlich unwahrscheinlich, aber nicht gänzlich ausgeschlossen, denn vor Jahrzehnten ist schon einmal ein Eisbär von Grönland aus nach Island geschwommen. Entsprechend verfolgt die Polizei diese Spur zwar nicht, aber es gibt Einwohner, die diese Möglichkeit nicht ganz abwegig finden.
Kalmann ist übrigens auch Sheriff von Raufarhöfn. Sein Vater, der in Island stationiert war, dann aber mitsamt seiner Familie nach Amerika zurückging, taucht eines Tages bei Kalmanns Mutter auf, da war der Junge neun Jahre alt, und gab ihm einen Cowboy-Hut, einen Sheriff-Stern und eine alte Mauser, die sein Großvater im Koreakrieg erbeutet hatte. So fühlt sich Kalmann in diesem Outfit, in dem er für gewöhnlich in Raufarhöfn herumläuft, als Sohn seines amerikanischen Vaters.
Die Geschichte entwickelt sich erst langsam, aber doch spannend und eskaliert zum Ende hin, das hier natürlich nicht verraten wird, auf wunderbar spektakuläre Weise. Vieles hatte man diesem Kalmann zugetraut, aber doch nicht das! Er hat eine große Herzenswärme, eine unglaublich sture Gradlinigkeit und eine unfassbare Bauernschläue. Mehrfach wird von ihm behauptet, dass er ein ganz Lieber und sicher harmlos sei. Dabei schlägt er schon mal vor Wut Löcher in die Wand und schmeißt mit Stühlen, wenn es ihm zu viel wird. Dafür jedoch hat der Leser volles Verständnis.
Brigitte Tietzel