TietzelsTipp: Schiffsmeldungen von Annie Proulx

Was für ein fantastisches Buch! Es ist schon 1993 erschienen und auch bereits verfilmt worden. Ich erinnere mich, den Film vor Jahren gesehen zu haben. Und jetzt, während der Lektüre des Romans, ist ein ganz anderer Film vor meinen inneren Augen abgelaufen, hervorgerufen durch diese wortgewaltige Sprache, die die Landschaft Neufundlands, den Wind, das Meer, die eisige Kälte, die wunderbaren und etwas skurrilen, warmherzigen Menschen dieser Gegend so unglaublich unmittelbar hervorruft.

Am Anfang hadert man mit der trostlosen Geschichte von Quoyle, diesem Unglückswurm, der in der Nähe von New York lebt und der zu gar nichts zu gebrauchen ist, alles falsch macht, dazu hässlich und viel zu dick ist. Nach einer kurzen, heißen Liebesaffäre ist er sechs Jahre in unglücklicher Ehe mit dieser Frau verbunden, die ihn hasst und ununterbrochen betrügt. Als sie bei einem Unfall ums Leben kommt, überredet Quoyles Tante Agnis ihn, mit ihr in das Land ihrer Väter, nach Neufundland, zu kommen. Mit Quoyles beiden kleinen Töchtern ziehen sie in den grauen Norden, und die Trostlosigkeit in Quoyles Leben scheint sich fortzusetzen. Es erweist sich aber, dass dieser friedfertige und liebenswerte Mann mit allen Schwierigkeiten, mit denen das neue Leben ihn konfrontiert, fertig wird. Nicht in spektakulärer Weise, heldenhaft, sondern einfach nur, indem er sich den Aufgaben stellt. Das macht ihn ungeheuer sympathisch, und man merkt als Leser, wie die eigene Skepsis gegenüber diesem Menschen schwindet und man anfängt, ihn für seine ruhige Zuverlässigkeit zu bewundern und ihn dann schlichtweg mag. Wie er sich einfügt in dieses fremde Leben, das verfolgt man mit großem Interesse. Er ist zunächst als Schreiberling bei der örtlichen Zeitung für Meldungen zuständig, welche Schiffe den Hafen einlaufen, und dann schreibt er eines Tages ganz eigenständig und ungefragt einen Artikel über eines dieser Schiffe, der die Menschen anrührt. Jack, der Herausgeber des Blattes, lobt ihn dafür. Und Quoyle bemerkt bei sich, dass er jetzt 36 Jahre alt ist und zum ersten Mal in seinem Leben etwas gut gemacht hat. Er bekommt eine eigene Kolumne und wird später sogar Chefredakteur der Zeitung. Dass diese eher ein Käseblatt ist, stimmt nur bedingt, denn für die Gegend ist sie von großer Wichtigkeit, und die wenigen Mitarbeiter legen ihr ganzes Herzblut in ihr Erscheinen.

In diesem Land ist nichts einfach, und die Autorin beschönigt das auch nicht. Nicht die raue Wirklichkeit der Fischer, die kaum noch etwas fangen und von denen viele eines Tages nicht mehr vom Meer zurückkehren; nicht die harten Zustände einer Gegend mit hoher Arbeitslosigkeit; nicht die Vergeblichkeit der menschlichen Bemühungen gegen die unerbittliche Natur. Und trotzdem hat das Leben nichts mehr von der früheren Trostlosigkeit, die Quoyles Leben in Amerika bestimmte. Er liebt seine Arbeit, findet überall Menschen, die ihn mögen, kann seinen Töchtern ein guter Vater sein, trifft Wavey, die ihm die lange vermisste Wärme einer Frau entgegenbringt. Mit einem Wort, er fühlt sich wohl und ist zufrieden. Er ist angekommen, so sagt man wohl. Das alles wird ohne Pathos oder Sentimentalität in einer schönen, klaren, etwas lakonischen Sprache beschrieben. Ich hätte immer weiterlesen können.       

Brigitte Tietzel

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