Anfang der 70er Jahre, die Brüder Edgar und Roman, 12 und 13 Jahre alt, erleben in einem westdeutschen Dorf eine unbeschwerte Kindheit. Roman, der Ältere, ist der coolere von beiden, der unerschrockene, auch der, der schon ein gewisses, man könnte fast sagen, politisches Bewusstsein hat. Während der jüngere Edgar ängstlicher, unbedarfter, angepasster ist. Die Geschichte wird aus Edgars Sicht mit dem Verständnis des damaligen Kindes erzählt.
Edgar ist aufmerksam, wohl weil er so empfindsam ist, und er spürt mehr als er es versteht, dass die Dinge falsch laufen. So beobachtet er bei einem Maifest, wie sein Vater mit seiner Mutter tanzt und dann, wie anders der Vater mit der Tierärztin tanzt. Und in dem, was er sieht, deutet sich für ihn die kommende Katastrophe an.
Am selben Abend folgt er seinem Bruder, der seinen Helden Robin Hood nachahmt und Sünder bestrafen möchte im Namen einer höheren Gerechtigkeit. Die beiden verstopfen bei einem Grillfest die Abzugskamine und lösen damit einen Brand in einem Restaurant aus. Auch wenn er seinen Bruder niemals in Stich lassen würde, weiß Edgar doch in diesem Moment dass ihre Tat nicht gut war. Es soll sich herausstellen, dass hier vielleicht der Anfang ihres ganzen Unglücks gelegen hat. Einerseits wäre das Jugendamt nicht auf sie aufmerksam geworden und andererseits, wären sie auf dem Maifest geblieben, hätte der Vater im Angesicht seiner Kinder vielleicht nicht so unverfroren mit der Tierärztin getanzt.
Es kommt, wie es kommen muss. Der Vater verlässt die Familie tatsächlich. Die Mutter fängt an zu trinken und vernachlässigt die Söhne. Schließlich stirbt auch noch die Großmutter, die den Rest der Familie zusammenhalten konnte.
Dann wird, ebenfalls auf Veranlassung des Jugendamtes, aber auch mit Zustimmung des Vaters, die demente und leicht verrückte Tante in ein Heim verfrachtet, ohne das man Näheres über die Umstände ihrer Unterbringung in Erfahrung bringen könnte.
Man muss starke Nerven habe für dieses Buch. Die Jungen kommen schließlich in ein Heim für schwer erziehbare Kinder und die Nazi-Methode dieser Anstalt, wenn das Mitte der 70er Jahre tatsächlich noch möglich gewesen sein sollte, treiben einem die Tränen des Grauens und eine schäumende Wut ins Herz. Aber schon vorher ist Edgars Erzählung herzzerreißend. Mit welcher Machtlosigkeit er seine Welt zusammenbrechen sieht, ist kaum zu ertragen, eine Welt, die so voller Liebe innerhalb der familiären Gemeinschaft war, eine Welt, die durch Dummejungenstreiche, emotionale Zufälligkeiten und vor allem durch den Hass und die Niedertracht einer Obrigkeit zerstört wird, die man eigentlich für unglaublich halten möchte. Die Flucht der Brüder aus dem Heim wäre tröstlich, wenn sie nicht bezahlt werden müsste mit dem endgültigen Abschied von ihrer Kindheit, ihrem Zuhause und sogar von den Eltern, die sich über dem Unglück ihrer Söhne wieder zusammengefunden hatten.
Brigitte Tietzel