TietzelsTipp: Wozu wir da sind. Walter Wemuts Handreichungen für ein gelungenes Leben von Axel Hacke

Dieser Walter Wemut wird aufgefordert, für den 80. Geburtstag einer guten Freundin eine Rede zu schreiben, genauer, eine Rede „über das gelungene Leben“. Das ist nun aus zwei Gründen schwierig für ihn. Denn einerseits schreibt er für gewöhnlich Nachrufe: jede Woche für die Zeitung. Er hat eine eigene Rubrik. Der Tote der Woche. Oder die Toten. Manchmal sind ja mehrere interessant. Übrigens keineswegs nur bedeutende Tote, solche, die man kennt. Er macht eigentlich keinen Unterschied: es kann sich um den Bürgermeister handeln, um einen Schriftsteller oder Schauspieler oder auch um den berühmten Mann (oder die Frau) von nebenan. Und jetzt das. Die Freundin ist eben noch nicht tot, sondern, das wird ausdrücklich betont: frisch, freundlich, interessiert, voller Spannkraft. Und sie selber spricht in ihrer Einladung nicht von einem gelungen Leben, sondern von einem schönen langen.

Dieses Wort „gelungen“ – und das ist der zweite Grund für seine Schwierigkeiten –,  macht Wemut Sorgen, das will er dem Leser jetzt mal erklären, und ehe man sich versieht, hat er einen hineingezogen in seine Gedanken. Er spricht zum Leser, als säße der ihm an seinem Schreibtisch gegenüber. Und genau des Gefühl hat man beim lesen. Man hört ihn sprechen und man hört ihm gerne zu. Das ganze Buch ist so ein immer weiter dahin fließender Monolog. Wemut kommt von Hölzchen auf Stöckchen. Er unterbricht seinen Gedankenfluss, um von seinem Friseur zu erzählen oder von dem Mann, bei dem er morgens seine Zeitung kauft. Und er sagt Sachen wie: Warten Sie mal, wo hab ich jetzt das Buch hingetan. Er denkt über alles nach, was ein Leben gelungen machen könnte oder ob das überhaupt wichtig ist und was das für den Einzelnen, für jeden Einzelnen bedeuten könnte oder für einen selber. Er sinnt über Worte nach, wie zum Beispiel „verbumfeit“ Wer kennt das noch? Oder er sagt zu seinem Friseur: „Meine Haare werden immer schütterer“. Und der fragt. „Was ist schütterer?“ Der Dialog, der dann folgt, lässt mich hell auflachen.

Wemuts Gedanke sprühen, so wach sind sie, so klug, so nachdenklich und nachdenkenswert und auch so lustig. So vieles von dem, was man da liest, hat man selber auch schon gedacht, oder es wird einem jetzt klar. Manchmal ist er rasend komisch, wenn er sich ablenken lässt und auf ganz abwegige Dinge zu sprechen kommt, wie bei der Sache mit den Schwertschluckern.

Ich habe lange nicht mehr ein so gedankenreiches und tiefgründiges Buch gelesen, das so leicht und locker, so amüsant und anregend daher kommt. Einfach toll. Und man denkt tatsächlich darüber nach, ob das eigene Leben gelungen ist, und wenn ja, warum.

Brigitte Tietzel

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