John Banville, Die See
Am Anfang ist von steigenden Wellen die Rede, von böse glitzerndem Wasser, und man ahnt und vermutet eine Katastrophe, auf deren Erklärung man dann aber sehr lange warten muss.
Man wird hineingezogen in die Gedankenwelt des Ich-Erzählers. Aber ist er überhaupt ein Erzähler? Er spricht wie zu sich selbst, nein, er lässt seine Gedanken fließen, die ihn überwältigen und fortreißen, und der Leser nimmt in einer unerhörten Intensität teil an den Geschehnissen dieses Lebens.
Max Morden, Kunsthistoriker, ein Mann ohne Persönlichkeit, wie er einmal von sich sagt, hat seine Frau Anna durch ein Krebsleiden verloren. Auf der Flucht vor dem Leben ohne seine Frau fährt er an die See, an einen Ort, an dem er als Kind vor einem halben Jahrhundert, viele Sommer verbracht hat. Und vor allem diesen einen, in dem er in der Pension „Zu den Zedern“ die Familie Grace mit dem Zwillingspaar Chloe und Myles kennenlernt, die in seinem Alter sind. Damals war diese Pension für Leute aus einer anderen Welt bestimmt, einer gesellschaftlich viel höher stehenden als der von Max. Jetzt kehrt er selber als Gast in diese Pension ein, die von einer geheimnisvollen Miss Vavasour geleitete wird, die ihn kennt, die ihm sagt, sie weiß, wer er ist.
Die Verschmelzung der verschiedenen Zeitebenen: der Jetztzeit des trauernden Witwers, der Zeit der Kindheitserlebnisse, der glücklichen Zeit mit seiner Frau, der Zeit ihrer Krankheit, der schwierigen Begegnung mit seiner Tochter, geschieht in diesem Gedankenstrom, der den Mann schüttelt, ihn hierhin und dorthin stößt, Bilder unvermittelt in ihm hochkommen lässt.
Mit einer kühlen, klaren Sprache werden Gedanken und Beobachtungen ausgedrückt, die in ihrer Genauigkeit fast erschrecken, auch weil der Leser nicht nur die intimsten Gefühle des Erzähler erfährt, sondern sich darüber hinaus selber darin wiederfindet, ja sich bisweilen geradezu ertappt fühlt. Der Übersetzerin Christa Schuenke ist diese großartige Übertragung ins Deutsche zu verdanken.
Langsam, so wie dieser Max Morden nach und nach sein Leben aufdröselt, wird klar, was er erlebt hat und warum er an diesen Ort, an die See, zurückgekehrt ist und was es mit Miss Vavasour auf sich hat. Aber die Parallelen der Ereignisse, wenn man sie denn als solche sehen will, sind nur oberflächlich bedeutsam. Die wirklichen Parallelen spielen sich vor allem im Inneren von Max Morden ab, der in diesem Rückblick langsam und fast widerwillig sein Leben versteht, begreift, was dazu geführt hat, dass er genau dieses Leben geführt hat, damals als Kind und dann als Mann. „Ich war stets ein typischer Niemand, dessen glühendster Wunsch es war, ein untypischer Jemand zu werden.“
Ein grandioses Buch.
Ich hab diesen Roman vor ein paar Jahren schon gelesen und fand ihn auch ganz großartig. Es freut mit immer, wenn jemand die Bücher mag, die mir auch gefallen …
Klasse, dass sich die Geschmäcker hier gleichen 😉