Henning Mankell, Treibsand – Was es heißt, ein Mensch zu sein
Am 5. Oktober diesen Jahres (2015) ist Henning Mankell seinem Krebsleiden erlegen. Anfang 2014 erhielt er die Diagnose, und damals kam es ihm vor, als müsse er in seinem Leben versinken wie im Treibsand. Eine Vorstellung ist das von einem Sand, der einen, hat man ihn einmal betreten, hinabzieht, gnadenlos, ohne Hoffnung auf Rettung. Obwohl es eine solche Erscheinung im wirklichen Leben gar nicht gibt, kann die Vorstellung davon traumatisch sein. Mankell hat sich, wie er schreibt, nach drei Wochen aus diesem Trauma befreit.
Dann hat er sich in einer unglaublich fruchtbaren Weise dem Gedanken an sein nahes Ende gestellt. Im Angesicht des Todes hat er sein Leben Revue passieren lassen, nicht chronologisch, sondern von Gedanken ausgehend, die allesamt mit Fragen zu tun haben wie: was ist der Mensch, was ist im Leben wichtig, was bestimmt einen, der zu werden, der man ist? Welche Lehren hat man aus seinem Leben gezogen, was hat man versäumt, welches Unrecht getan? Wohin gehen wir? Was können wir von vorherigen Generationen lernen, was hinterlassen wir unseren Kindern? Der Gedanke, dass wir zukünftigen Generationen Atommüll hinterlassen, von dem niemand sagen kann, welche Folgen das haben wird, ist niederschmetternd, nicht nur für den Autor.
Henning Mankells Leben war offensichtlich ungeheuer reich und vielleicht spannender als seine Kriminalromane, und die waren – zumindest die ersten, die ich gelesen habe: Mörder ohne Gesicht, Die Hunde von Riga, Die weiße Löwin – wirklich sehr spannend und sehr gut geschrieben, und haben zu Recht seinen Weltruhm begründet. (Wie die völlig belanglosen und sterbenslangweiligen Fernsehfilme, die mit Mankells Namen werben, in sein Werk einzuordnen sind, vermag ich nicht zu verstehen). Aber sein Leben ist nicht nur reich gewesen, weil er viel erlebt hat, viel gereist ist, lange in Afrika war, sondern vor allem, weil er ein so neugieriger, wissensdurstiger Mensch gewesen ist, mit einer umfangreichen, viele Bereiche und Zeiten überspannenden Bildung. Diese erlaubte es ihm, Fragen zu stellen, die viele von uns umtreiben. Das ist für den Leser ungeheuer anregend. Auch Mankell fand keine endgültigen Antworten, niemand kann das, und man merkt, mit welcher inneren Spannung er den Dingen auf den Grund gehen möchte.
Die vielen menschlichen Begegnungen, die er beschreibt, die zahlreichen Ausnahmesituationen führen zu gedanklichen Auseinandersetzungen von enormer Tragweite. Und sie zeigen die unglaubliche Vielfalt, die unbegrenzten Möglichkeiten des Lebens, woraus Mankell seine Freude zog, seine lebensbejahende Einstellung – und letztlich seine Angst vor dem Tod. Denn davon erwartete er nichts als Dunkelheit und Vergessen. Er war kein gläubiger Mensch.
Manchmal treibt es einem die Tränen in die Augen, wenn man mit dem Autor begreift, dass die Fülle, aus der er schöpfte und die auch uns, solange wir leben, zur Verfügung steht, unausweichlich an ein Ende kommt. Für jeden von uns.
…schon wieder ein Buch auf meiner Liste der Vormerkungen (y) Danke