Nicholas Shakespeare, Broken Hill
Die Geschichte ist ebenso trostlos wie das Örtchen Broken Hill, ein Bergarbeiterdorf irgendwo in Australien. Am Neujahrstag 1915, als sich die Einwohner des Dorfes per Zug zum traditionellen Neujahrspicknick aufmachen, geschieht ein großes Unglück, ein Terrorakt, begangen von zwei Außenseitern. Die Geschichte beruht, wenngleich romanhaft verfremdet, auf einer wahren Begebenheit.
Man reibt sich die Augen: 1915? Australien? Nur wenig verändert könnte sich dasselbe hier und jetzt zutragen. Haben wir denn überhaupt nichts dazu gelernt? Die Antwort ist offensichtlich: nein. Grundsätzlich scheinen sich die Menschen nicht zu ändern. Seit Jahrtausenden werden immer wieder dieselben Fehler gemacht. Hier geht es um ein von aller Welt abgeschiedenes Dorf, in dem jeder jeden kennt, in dem die Arbeitsmöglichkeiten begrenzt sind und in das Auswirkungen eines im weit entfernten Europa entflammten Weltkriegs zur Schließung der örtlichen Bergwerke führen. Junge Männer, ihrer Arbeit beraubt, verdingen sich als Soldaten in einem Krieg, der zu weit von ihrer Heimat entfernt stattfindet, als dass er sie wirklich etwas anginge.
Keine schöne Situation und keine beruhigende Atmosphäre, besonders für Fremde, die ebenfalls in dem Dorf leben. Seit Jahren leben, muss man sagen, geächtet von allem Anfang an, summarisch als Türken verschrien, obwohl sie aus allen möglichen Länder kommen wie etwa Indien und Afghanistan. Aber sie sind eben fremd. Sie sind anders, haben eine dunklere Haut, und vor allem eine andere Religion: sie sind Moslems. Obwohl es für Streitigkeiten eigentlich keinen Grund gibt, denn die „Anderen“ leben mehr oder weniger unter sich, sozusagen in einem Ghetto, „Camel Camp“ oder „Ghantown“ genannt, ist ihre bloße Existenz den „Weißen“ ein Dorn im Auge. Und während die Fremden die Dorfbewohner zu ihren (auch religiösen) Festen großzügig einladen, verwehrt man ihnen andererseits beim Weihnachtstanz den Zutritt zum Fest der Weißen. Denn zu allem anderen – der Befürchtung und Behauptung, dass die Fremden den einheimischen die Arbeit weg nehmen –, kommt die Furcht, sie könnten sich auch an die eigenen Frauen heranmachen. Die demütigende Abfuhr an jenem Weihnachtstanz ist es, die das Fass für Gül und Molla Abdullah nach Jahren der Schikanen zum Überlaufen bringt und sie zu Terroristen werden lässt.
Dass es auch anders gehen könnte, dass eine Annäherung, geboren aus Respekt und Neugierde auf das Andersartige möglich wäre, zeigt der Autor an einer jungen Frau, Rosalind, der die Enge ihres Dorfes und seine Begrenztheit schmerzlich bewusst sind. Ihr steht die Ehe mit einem groben Bergarbeiter bevor, der nicht ganz unsympathisch, aber in allem vorhersehbar ist. Diese Ehe wird ein Käfig sein, aus dem sie ausbrechen möchte, noch ehe sie darin gefangen ist. Eine Frau, die offen auf die Fremden zugeht, kaum Berührungsängste hat und sogar eine Zuneigung zu Gül verspürt, die sie nicht zu deuten wagt. Aber sie eine schwache Frau und sie ist mit ihrer Einstellung in dieser Gesellschaft allein. So nimmt das Schicksal seinen Lauf.