TietzelsTipp: Die Aula (1965) von Hermann Kant

Hermann Kant, Die Aula

Der Autor starb, 90jährig, im August diesen Jahres, und er war einer der bekanntesten Schriftsteller der DDR. Er war Mitglied der SED, Abgeordneter der Volkskammer, Mitglied im PEN-Zentrum Ost und West. Er war involviert in die Ausbürgerung Wolf Biermanns und inoffizieller Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit. Eine zwielichtige Person, so will einem scheinen, und linientreu bis zuletzt. Kann so jemand ein Buch wie „Die Aula“ (erschienen 1965) schreiben, so voller Sprachgewalt und Sprachwitz, so voller scheinbar ironischer Distanz zu den Errungenschaften der neu aufzubauenden sozialistischen Republik? Es fällt einem schwer, die beiden Personen überein zu bringen.

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Kant wurde in Hamburg geboren, diente 1944 in der Wehrmacht und ging, nachdem er aus polnischer Gefangenschaft entlassen war, 1949 in die DDR, wo er die ABF (Arbeiter und Bauernfakultät) besuchte, um die es in diesem Roman geht, der in weiten Teilen autobiografisch ist. In dieser Fakultät gab man unterprivilegierten Personen die Möglichkeit, das Abitur nachzumachen und schließlich zu studieren. Dass alle beschriebenen Menschern hier diese Möglichkeit aufs Beste nutzen und voller Eifer ihr Ziele erreichen, gehört sicher zu den geschönt dargestellten Verhältnissen in der DDR, wie Marcel Reich-Ranicki Kant vorgeworfen hat.

Im Roman wird einem der Protagonisten, Robert Iswall, aufgetragen, zehn Jahre nachdem die Jungen, um die es hier geht, die Fakultät verlassen haben, eine Festrede zur beabsichtigten Schließung dieser Fakultät zu halten. Das veranlasst ihn, über die Vergangenheit nachzusinnen. Erinnerungen an eine tolle Zeit werden wach, in der eine Gruppe von jungen Leuten eine eingeschworene Gemeinschaft gebildet hatte.

Kant gelingt es, diese Zeit sehr lebendig werden zu lassen und teilweise ist das unglaublich komisch. Es erinnert einen an die eigene Jugend mit alle den vielen Facetten an Freud und Leid und Ungeduld und Hoffnung, an all den Unsinn, den man als junger Mensch zu machen pflegt.

Es stimmt, dass die politischen Verhältnisse unkritisch gesehen werden, dass die Republikflucht des einen nicht näher erläutert wird, aber darüber hinaus ist es ein Buch über persönliche Beziehungen und über eine Freundschaft, die in einem einzigen, unerträglichen Augenblick in die Brüche geht. Robert veranlasst aus Eifersucht, dass sein Freund Trullesand für sieben Jahre nach China geschickt wird und dafür eine Kommilitonin, die mitgehen soll, heiraten muss. Am Ende löst sich zwar alles in Wohlgefallen auf, die Partei, die diesen unerhörten Vorgang gebilligt hat, so wurde Kant vorgeworfen, habe also auch hier mal wieder Recht behalten. Das mag einen stören. Aber unabhängig von der politischen Dimension, berührt einen die menschliche Seite dieser Geschichte sehr.

Kant selbst muss einmal gesagt haben, er hoffe, „dass ich jenseits von allem anderen Gut und Böse hin und wieder gesagt kriege: Schuft magst du ja wohl sein, aber schreiben kannst du ganz ordentlich! Das reicht mir!“ Es kann nicht reichen für die Absolution eines, der womöglich große Schuld auf sich geladen hat. Aber für diesen Roman trifft es sicher zu.

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