Antje Schrupp, Vote for Victoria!
Wenn man diese ungewöhnliche Lebensgeschichte gelesen hat, bleibt man einigermaßen fassungslos zurück. Diese Victoria Woodhull ist einfach unglaublich. Geboren 1838 in einem Provinznest in Ohio, in der untersten aller Schichten, hat sie es tatsächlich in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts zur Präsidentschaftskandidatin geschafft. Und das war keineswegs der größte Erfolg, den sie erreicht hat.
Aber zurück zu den Anfängen. Victoria kam aus der Gosse, ihre Eltern, Buck und Annie Claflin, waren nicht nur arm, sie waren verkommen, asozial. Buck verdiente sein Geld u. a. mit Pferdediebstahl, Annie arbeitete als Wahrsagerin, und die ganze Familie war ständig auf der Flucht vor Menschen, die sie aufs übelste betrogen hatten. Und Victoria, benannt nach der gerade gekrönten englischen Königin, passte sehr wohl in diese Familie. Sie glaubte an Geister und arbeitete wie ihre jüngere Schwester Tennessee als Hellseherin und in anderen, wenig respektablen Berufen. Sie heiratete jung den Nichtsnutz Canning Woodhull, von dem sie zwei Kinder bekam, und von dem sie sich später scheiden ließ.
In Chicago lernte sie James Blood kennen, einen angesehenen, gebildeten Untersuchungs-richter, der eine Frau und zwei Töchter hatte. Blood verließ diese und seine gesamte bürgerliche Existenz, um mit Victoria durchzubrennen. Später heirateten sie, ohne dass Victoria seinen Namen (Blood = Blut) angenommen hätte, der ihr für ihre Geschäfte nicht ratsam schien. Durch Blood lernte Victoria politische Ideen und philosophisches Gedankengut kennen, das sie nachhaltig inspirierte. Die Frau, die lediglich für drei Jahre sporadisch eine Schule besucht hatte, interessierte sich plötzlich für die Ungerechtigkeiten dieser Welt und versuchte, etwas dagegen zu unternehmen. Sie trat ein für die Rechte der Frauen, der Schwarzen, der Arbeiter und aller Unterdrückten. Das Wahlrecht für Frauen, das verschiedene Frauenbewegungen damals forderten, war für sie keineswegs der wichtigste Schritt bei der Beseitigung bestehender Ungerechtigkeiten. Sie hielt Vorträge, sie gründete eine Zeitung und schließlich versuchte sie 1872 als Präsidentschaftskandidatin auf ihre Ziele aufmerksam zu machen. Diese Kandidatur war völlig aussichtslos, was Woodhull selbstverständlich wusste, aber sie war ein Zeichen dafür, dass die Zeiten sich ändern würden.
Der Kontakt zu Cornelius Vanderbilt und anderen reichen Männern brachte Victoria und Tennessee dazu, in New York ein erstes Broker-Büro für Frauen einzurichten, wobei James Blood als Mann die Geschäfte für die Frauen an der Börse tätigte.
Es konnte nicht ausbleiben, dass man mit allen Mitteln versuchte, gegen diese Frauen vorzugehen, wobei Victoria vor allem wegen ihrer allzu freien moralischen Einstellung angreifbar war. Als Cornelius Vanderbildt 1877 starb, ermöglichte eine Gabe von 100.000 Dollar den Schwestern einen Neuanfang in England. Es handelte sich offensichtlich um Schweigegeld der Familie für Insiderwissen, das den Ruf des alten Gentlemans stark beschädigt hätte.
In England heiratete Victoria John Biddulph Martin, mit dessen Vermögen sie als Wohltäterin wirkte und 1927 hoch angesehen starb.
Es ist unmöglich die zahlreichen Facetten und Wendungen dieses ungeheuer reichen und vielschichtigen Lebens in einer kurzen Rezension zusammenzufassen. Man muss es selber lesen.