Robert Harris: Konklave
Man meint, Harris sei dabei gewesen, so anschaulich, so genau beschreibt er das Procedere einer in die nahe Zukunft verlegten Papstwahl. Der Papst ist gestorben, und ohne dass dies gesagt würde, weiß man, dass es sich um den derzeitigen Papst handeln muss. 118 Kardinäle aus allen Teilen der Welt sind im Vatikan versammelt, um den Nachfolger aus ihrer Mitte zu wählen.
Während dieses Konklaves sollen die Kardinäle von der Außenwelt abgeschlossen sein, kein wie auch immer gearteter Einfluss von außen soll die Entscheidung für den Einen, den Auserwählten beeinflussen. Zu früheren Zeiten bedeutete das tatsächlich, dass die Türen zur Sixtinischen Kapelle, dem traditionellen Ort der Wahl, verriegelt blieben, bis man sich auf einen Kandidaten geeinigt hatte. Die Kardinäle hatten sogar jeder einen eigenen Stuhl für ihre Notdurft. Man liest nicht ohne Interesse und Staunen, dass diese harten Bestimmungen inzwischen sehr gelockert worden sind.
Die Männer wohnen unweit der Sixtina in der Casa Santa Marta, wo sie schlafen und essen und vor allem ihre weitreichenden Intrigen spinnen können. Ein möglicher Kontakt zur Außenwelt besteht erstaunlicherweise in vielerlei Hinsicht: da sind die Nonnen, die die Männer bedienen und ihre Zimmer säubern, da sind Wahlhelfer und Organisatoren, die zwar bei der Wahlgängen ausgeschlossen aber zwischendurch immer wieder ansprechbar sind. Und nicht zuletzt Busfahrer und Sicherheitsbeamte, die die Kardinäle von der Casa Santa Marta bis zur Sixtinischen Kapelle begleiten. Genügend Möglichkeiten, die Außenwelt eben doch in den inneren Zirkel gelangen zu lassen.
Dieser innere Zirkel besteht von allem Anfang an aus verschiedenen Fraktionen, den Italienern, die endlich einen der ihren wieder auf dem Thron Petri sehen wollen, den Nordamerikanern, den Spaniern und vor allen den Afrikanern, denn es scheint an der Zeit für den ersten schwarzen Papst. Nicht zuletzt ist da ein ominöser Kardinal aus Bagdad, den überhaupt niemand kennt und den der verstorbene Papst in letzter Minute und in aller Heimlichkeit zum Kardinal ernannt hatte.
Der kluge Lomelli, der als Kardinaldekan für den ordentlichen Ablauf des Konklaves verantwortlich ist, versucht, objektiv zu bleiben, aber je mehr er über die Absichten und Hintergründe der einzelnen, sich bekämpfenden Favoriten erfährt, desto mehr muss er in das Geschehen eingreifen. Es ist vor allem die Sicht Lomellis, die der Leser teilt, und das ist ungeheuer spannend und glaubhaft beschrieben, wenngleich das Ausmaß all der Irrungen, die da aufgedeckt werden, schon recht ungewöhnlich ist. Aber sonst wäre es natürlich kein echter Harris. Und ist es nicht so, dass man oft nicht glauben kann oder will, wie schlecht die Welt ist, und dann muss man erfahren, dass sie in Wirklichkeit noch viel schlechter ist?!
Ein Buch, das man nicht aus der Hand legt, bevor man die letzte Seite gelesen hat.