TietzelsTipp: Wölfe von Hilary Mantel

Das 16. war ein aufregendes, schillerndes, grausames Jahrhundert: für ganz Europa – man denke nur an den Bau der Peterskirche in Rom, den Sacco di Roma oder Luther und die Spaltung der Kirche in Deutschland – ganz besonders aber für England, das überreich war an großen, großartigen und alles in allem keineswegs zimperlichen Menschen. Man kann sich kaum der Faszination entziehen, die eine so deutlich widersprüchliche Person wie König Heinrich VIII. ausübte. Er hatte sechs Frauen, zwei davon ließ er hinrichten. Von Shakespeare, der im späteren Verlauf des Jahrhunderts so große Bedeutung erlangte, ist hier nicht die Rede.

Die geschichtlichen Fakten in diesem ersten Band eines inzwischen zur Trilogie angewachsenen Romans, sind unumstößlich. Das Buch umfasst die Zeit von 1500 als Thomas Cromwell, Sohn eines brutalen Schmieds, mit 15 Jahren seine Heimat und sein Land verlässt und in der Fremde sein Glück macht, und 1535, als Thomas Morus für die Treue zu seinem katholischen Gauben hingerichtet wird.

Andere wichtige politische Personen tauchen auf wie Thomas Wolsey, Kardinal, Erzbischof von York und Lordkanzler. Auch Thomas Morus, den man eher als Humanisten und Autor kennt (Utopia) hatte ebenfalls politische Ämter inne. Vor allem aber geht es in diesem Buch um Thomas Cromwell. Sie alle wurden, wie der König selbst und die meisten seiner Frauen, von Hans Holbein d. J. gemalt, und es ist sicher eine gute Idee, sich diese prachtvollen Gemälde im Internet anzusehen. Dadurch wird das Buch noch lebendiger.

Eigentlich beginnt die Geschichte erst 1527, als Cromwell bereits wieder zurück in England ist und im Dienste des Erzbischofs von York steht. Cromwells früheres Leben und seine Entwicklung, die außerordentlich gewesen sein muss, bleibt eher im Ungewissen. Als Wolsey in Ungnade fällt und stirbt, imponiert dem König Cromwells Treue zu dem Mann, dem er so viel zu verdanken hat. Wir erleben den Aufstieg und Fall nicht nur von Staatsmännern im Umfeld Heinrichs VIII., sondern auch seine Launen und Begierden, die ihn dazu treiben, seine erste Frau, Katharina von Aragon, nach 20jähriger Ehe vom Hof zu verbannen, um Anne Boleyn, die sich ihm als Maitresse verweigerte, zu ehelichen. Dies führte bekanntermaßen zum Abfall Englands vom Papst. Heinrich machte sich selbst zum Oberhaupt der katholischen Kirche in England.

Wie es Cromwell gelang, aus einfachsten Verhältnissen durch Klugheit und Besonnenheit, durch die schreckliche Kindheit gestählt und die Erfahrungen in vielen Ländern gereift, sich in dem  Schlangennest bei Hofe zu bewähren, wie er das Vertrauen des Königs gewinnt und ein politisches Amt nach dem anderen erhält, ist packend erzählt, weil es der Autorin gelingt, die menschlichen Seiten der Figuren, positive wie negative, glaubhaft darzustellen. Man fühlt sich als Mitglied im Hause Cromwell, man ist entsetzt über Anne Boleyns kleinlichen, grausam-gierigen Charakter, man fiebert mit dem todessüchtigen Thomas Morus, der zum Märtyrer werden möchte für seine Überzeugung. Und wenn das Buch zu Ende ist, möchte man wissen, wie es weiter geht.                             

Brigitte Tietzel

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