Albert Einstein einmal anders. Nicht mit dem genialen Wissenschaftler wird der Leser konfrontiert, sondern mit dem Menschen, und man weiß nicht, wen man weniger versteht. Natürlich handelt es sich hier um einen Roman, einen Roman, der aus Sicht von Einsteins erster Frau Mileva das Scheitern dieser Ehe beleuchtet. Und natürlich sind solche Überlegungen subjektiv. Aber die nackten Tatsachen sind doch überliefert, und da zeigt sich Einstein als egoistischer, ziemlich schäbiger, sozial reichlich inkompetenter Mann.
Mileva war ein hochbegabtes Mädchen, dem der Vater gegen alle Regeln das Physik-Studium in Zürich ermöglicht hatte, damit sie, die keine Schönheit war und außerdem ein „Hinkefuß“, sich selber würde ernähren können. Er war sehr stolz auf ihre geistigen Fähigkeiten, die das Äußere vergessen machen sollten. Und auch Albert, den Mileva als jungen, unsicheren Mann in Zürich kennenlernte, sah in ihr zunächst und für lange Zeit die intelligente Partnerin, mit der allein er sich austauschen, die ihm bei seiner Arbeit helfen konnte, die Liebe seines Lebens.
Als Mileva schwanger wurde, die beiden waren noch nicht verheiratet, hätte der Skandal die Berufsaussichten Einsteins zunichte gemacht. Mileva bekam das Kind bei ihren Eltern in Novi Sad, einem Dorf in Serbien, ließ es dort zurück, wo es wohl noch als Kleinkind starb. Für Albert war das kein Problem, für Mileva ein Schuldtrauma, das sie ihr Leben lang nicht verwinden konnte. Auch die spätere Heirat und die Geburt zweier Söhne haben Mileva nur unzureichend darüber hinweg getröstet. Als sie mit dem ersten Sohn schwanger war, fiel sie durch das mündliche Examen, obwohl ihre schriftliche Arbeit bereits akzeptiert worden war. Niemanden interessierte, warum die brillante Studentin scheiterte. Sie konnte das Studium nicht beenden und war fortan Hausfrau.
Der Umzug nach Berlin erwies sich als Katastrophe. Albert war in seine Cousine Elsa verliebt, und schickte Mileva den berühmten Ehevertrag, ein Dokument beispielloser sozialer Kälte. Mileva ging mit den Kindern nach Zürich zurück, obwohl sie in finanzieller Hinsicht von Einstein völlig abhängig war und dies auch zu Konflikten führte. Damit ist sie nicht wirklich fertig geworden, sie verbrachte Monate mit ungeklärter Diagnose in einer Klinik. Hinzu kam die Sorge um den jüngsten Sohn, der unter Schizophrenie litt und schließlich in eine Heilanstalt eingewiesen wurde.
Hier liegt allerdings ein weiterer Grund für Milevas Tragödie. Denn offensichtlich lag die Krankheit in Milevas Familie, und Mileva selber litt unter schwersten Depressionen. Die Hingabe an ihren Mann war einerseits ihr Halt im Leben, führte aber andererseits zum Verlust ihrer Eigenständigkeit. In dem Roman ist sich Mileva dieser „Schwäche“, wie sie selber es sieht, durchaus bewusst. Das entschuldigt ihren Mann, der ohne jede Rücksicht seiner eigenen Neigung lebte, ohne jedes Verständnis für die Menschen, für die er Verantwortung hätte übernehmen müssen, keineswegs. Ein trauriges Buch.
Brigitte Tietzel