Helen Macdonald, H wie Habicht
Dieses Buch ist eine Herausforderung, und es ist unvergleichlich. Es ist kein Roman, obwohl in ergreifender Weise eine Geschichte erzählt wird, und es ist nur unzulänglich als Sachbuch beschrieben, obwohl es eine Menge Wissen über Greifvögel vermittelt. Hier geht es um die Beziehung Mensch und Tier. Aber was für ein Tier! Und was für ein Mensch, muss man gleich hinzufügen. Helen Macdonald, die heute an der Universität von Cambridge Geschichte und Philosophie der Wissenschaften unterrichtet, war sicher schon als Kind ungewöhnlich in ihrer Liebe, ja Obsession für Greifvögel. Sie wurde Falknerin und hat auch ein Buch darüber geschrieben, ein Sachbuch. „H wie Habicht“ ist nicht „sachlich“, es ist vielmehr von einer stürmischen, bisweilen verstörenden Emotionalität. Als im Jahr 2007 Macdonalds Vater verstirbt, da ist sie 37 Jahre alt, trifft sie dieser Verlust bis ins Mark.
In einem nicht zu steuernden Verlangen beschließt sie, einen Habicht zu zähmen, abzutragen, wie es im Fachjargon heißt. Obwohl sie sich mit Greifvögeln auskennt, ist dies eine heikle und schwierige Aufgabe, weil Habichte extrem scheu und wild sind. Mehrfach nennt die Autorin sie sogar „mörderisch“. Obwohl mir das Wort nicht wirklich zutreffend scheint, endet die Jagd eines Habichts naturgemäß blutig und scheint grausam. Der Vogel schlägt seine Klauen in das Opfer und frisst es bei lebendigem Leibe, wenn es nicht gleich tot ist.
Der Weg, sich dem Vogel so anzunähern, dass Vertrauen entsteht, und der Habichtler den Vogel schließlich fliegen kann, das heißt ihn frei lassen kann und er trotzdem zu ihm zurück kommt, wird in aller Eindringlichkeit, mit aller Angst vor Rückschlägen, mit aller Freude bei Erfolgen beschrieben. Distanziert wird der Leser jedoch bemerken, wie die Hingabe an ihre Aufgabe die Autorin zu verschlingen droht. Sie entfremdet sich der menschlichen Gesellschaft, lebt nur noch für ihren Habicht bis zu einem Punkt, an dem sie selber glaubt, wie der Vogel zu fühlen, wie er die Welt zu sehen, sich geradezu in einen Habicht zu verwandeln. Man begreift, dass sich hier ein psychologisches Drama abspielt, und dass das mit dem Versuch, die Trauer und den Schmerz über den Verlust des Vaters zu verarbeiten, zusammenhängt. Gott sei Dank versteht Macdonald rechtzeitig, dass sie auf dem Weg ist, abzudriften, erkennt ihre Depression und lässt sich von einem Arzt helfen. Die eigentliche Arbeit, aus diesem eigentümlichen Zustand als Vogelwesen wieder zurück in die menschliche Gesellschaft zu finden, muss sie aber alleine schaffen. Eine späte Trauerfeier für ihren Vater hilft ihr dabei.
Macdonald flicht in die Beschreibung ihres eigenen Weges die Erfahrungen von T.H. White ein, dem Autor von „Der König auf Camelot“, den seine sadistisch geprägte Homosexualität zu einem Außenseiter der Gesellschaft machte und der ebenfalls versuchte, einen Habicht abzutragen. In seinem 1951 erschienenen Buch, „The Goshawk“, beschreibt er schonungslos die Fehler, die er dabei gemacht hat. Macdonald setzt sich einfühlsam mit Whites Erfahrungen auseinander, vergleicht sie mit den eigenen. Ihr klarer Verstand und ihre Beobachtungsgabe verhindern, dass der Wahnsinn, dem sie zu verfallen droht, wirklich Besitz von ihr ergreift.